„Dafür, dass wir Oktober haben, ist es echt noch richtig angenehm warm.“ „Jap. Klimawandel.“ Der Mann zieht sich die rote, mit Reflektoren gespickte Jack Wolfskin Jacke aus und bindet sie sich um die Hüfte. Er betrachtet die vielen Stände, Kisten voller Bücher und Platten, Tische vollgestellt mit zerbrechlichem Porzellan und herumstehende Haushaltsgeräte. Er bleibt stehen bei einem Stand, an welchem Pullover und Hemden an Kleiderbügel hängen.

Die Frau hingegen läuft weiter, ihr Ziel ist ein Stand voller antiker Puppen. „Was sagst du zu dem hier, Schatz?“ fragt der Mann und hält den Ärmel eines blau karierten Hemdes mit einer aufdringlichen ‚Camp David‘ Aufschrift hoch. Als er keine Antwort erhält, dreht er sich irritiert um und erblickt die hochgesteckten, braunen Locken seiner Frau einen Stand weiter.

Er lässt den Ärmel los und geht zu eben dieser, welche eine Handgroße Stoffpuppe mit glasigen, ausdruckslosen Augen in ihrer Hand dreht. „Sieh nur, wie süß, oder?“ „Eher gruselig. Die ganzen Puppen erinnern mich eher an… an Annabell, oder hier, den anderen, wie hieß der noch? Ben? Naja du weißt schon, die männliche Horrorpuppe halt.“ „Ach du wieder… wie kann man Angst vor Puppen haben?“ „Schau sie dir doch an… die toten Augen.“ „Die können gar nicht tot sein, weil sie nie gelebt haben. Etwas, was nicht gelebt hat, kann auch nicht tot sein.“

Sie legt die Puppe wieder hin und geht weiter. Er folgt ihr. „Und du denkst, wir finden hier ein passendes Geschenk für Henriette?“ fragt sie und beugt sich leicht runter, um einen Kompass näher zu betrachten. „Weiß nicht, dachte mir, man kann es ja probieren. Zum Bestellen ist es ja jetzt zu spät.“ erwidert er. Sie dreht sich zu ihm. „Ja Steffan. Ich habe dir schon vor Wochen gesagt, du sollst dich kümmern.“ „Du hättest mich ruhig zwischendurch mal daran erinnern können.“ „Sie ist deine Schwester!“ „Du weißt doch ganz genau, dass Geschenke machen nicht mein Ding ist.“ er beginnt an einem Tischtuch herumzufiddeln.

„Ja… deswegen sind wir jetzt hier.“ murmelt sie und nimmt ein in Leder geschlagenes Notizbuch zur Hand. Vorsichtig fährt sie mit ihren Fingern über die Rillen. Dann richtet sie sich auf und verschränkt die Arme vor der Brust. „Aber klar, vielleicht finden wir ja zwischen den Weltkriegsgeschichten und Möbeln, die älter sind als deren Inhalt ein passendes Geschenk für deine Schwester.“ Ihr dünner Mund verzieht sich kaum beim Sprechen und als sie Steffan ansieht, zucken ihre braunen Augen hoch und runter.

„Du bist so negativ.“ Sagt er und wendet sich ab um weiter zu gehen, vorbei an den stehen gebliebenen Uhren und Münzen, mit denen keiner mehr bezahlt. Sie geht hinter her und öffnet dabei den Reißverschluss ihrer blauen, mit Reflektoren gespickten Jack Wolfskin Jacke. „Hier, was ist damit?“ „Eine Lampe?“ „Ja, die ist in so einer Blumenform, Henriette mag doch Blumen.“ Er hält die goldene Lampe mit Buntglasschirm in der Hand und schaut seine Frau an.

„Henriette hat vor zwei Monaten ihr drittes Kind bekommen und du willst ihr eine Glaslampe schenken.“ In Anbetracht seiner schlechten Idee lässt Steffan sein Gesicht und die Lampe sinken und stellt das fast Antike Möbelstück wieder hin. „Na, willst du ihr vielleicht was fürs Kind schenken?“ „Das wollte ich von Anfang an, Steffan, aber du hast es ja immer wieder verschoben.“ erwidert sie. „Na, dann lass uns doch jetzt noch was fürs Kind besorgen.“ „Wie denn? Es ist Sonntag.“ „Vielleicht finden wir ja hier auf dem Flohmarkt was fürs Kind?“

„Ach? Das ist ja mal eine Idee. Da wäre ich ja nie draufgekommen.“ Sie geht an ihm vorbei. Er folgt ihr. Bei einem Stand mit altem Kinderspielzeug bleibt sie stehen. „Da. Such dir was aus.“ „Ach man Moni. Wir machen das doch zusammen.“ „Ja? Tun wir das? Dinge zusammen?“ Steffan nimmt eine Stofftaube zur Hand. „Die ist doch süß, oder?“ „Hat Knopfaugen, das Kind könnte sie verschlucken.“

Er legt sie wieder hin. Mit seinen Fingern fährt er über die weichen Stofftiere, auf der Suche nach einem passendem. Moni geht einen Schritt weiter. „Hier. Hier liegen die, für Neugeborene. Schau Mal, der Delfin. Henriette mag doch Delfine.“ „Ja… super. Dann haben wir es doch.“ nickt er. Sie winkt die Verkäuferin heran. „Wie viel für den Delfin.“ „Alle Stofftiere fünf Euro.“ Moni nickt, holt ihr Portemonnaie hervor und bezahlt das Stofftier. „Herzlichen Glückwunsch euch.“ lächelt die Verkäuferin. „Hm?“ „Na zum Neugeborenen.“ „Ist nicht für uns.“ erwidert Moni. „Oh…“ Die Verkäuferin packt das Stofftier in eine Papiertüte und reicht sie Moni.

„Wollen wir noch was Essen gehen?“ Steffan schaut zu den Essensbuden. „Wir haben noch von gestern.“ Moni geht weiter. Schon von weitem öffnet Steffan das Auto, nur, indem er in der Nähe ist. Schlüsselloses Zugangssystem, da war Steffan besonders stolz drauf. Als er Moni dieses zum ersten Mal zeigte, sagte diese nur, dass diese Funktion völlig sinnlos war. Und die Faulheit, nicht mehr auf einen Knopf drücken zu müssen, wieder typisch für ihn war.

Moni steigt auf der Beifahrerseite ein, Steffan besetzt den Fahrersitz. „Du muss das heute noch einpacken.“ sagt Moni und legt die Papiertüte auf ihren Schoss. „Mach ich.“ „Machst du eh nicht.“ „Doch mach ich.“ Steffan machte es nicht. Am Abend holt Moni die Papiertüte vom voll beladenen Telefontisch und trägt sie in die mit teuren Geräten und einem Smart-Kühlschrank eingerichtete Küche. Dann holt sie Geschenkpapier aus dem Keller, Schere und Geschenkband. Sie seufzt leise. Steffan betritt die Küche.

„Ich hätte es noch gemacht.“ „Mhm.“ „Wirklich.“ Moni greift in die Tüte, um das Stofftier hervorzuholen. Plötzlich berührt sie etwas Unerwartetes. Mit zusammengezogenen Augenbrauen, zieht sie eine versiegelte Pergamentrolle hervor. „Was ist das denn?“ fragt er sie. „Eine Pergamentrolle.“ „Ja, das sehe ich auch.“ Sie fährt mit ihren Fingern über das Siegel. „Mach auf.“ fordert er sie auf. „Findest du es nicht merkwürdig, dass da eine Pergamentrolle in der Tüte ist?“ entgegnet sie. „Keine Ahnung, vielleicht ist das so ein Geschenk, weil man was gekauft hat?“ Moni schaut ihn skeptisch an. „Das klingt nicht sinnvoll.“ „Machst du sie jetzt auf oder nicht?“

Moni fährt mit der Schere vorsichtig unter das Wachssiegel mit dem hübschen Stern darauf und öffnet es. Ein einziger Satz stand darauf. Moni las vor „Wer die Worte ‚Ich wünsche mir‘ ausspricht, wird das Schicksal lenken. Aber sei achtsam, einmal gesagt, kann es nicht zurückgenommen werden.“ In diesem Moment leuchtete die zuvor schwarze Schrift Feuerrot auf. „Glaubst du, das ist echt?“ fragte Steffan als erstes. „Die Schrift leuchtet, glaubst du, das macht normale Schrift einfach?“ „Naja nein aber… ein Wunsch? Wir können uns jetzt alles wünschen was wir wollen? Sowas hat doch immer eine Begrenzung.“ „Es ist nur einer.“ entgegnete Moni und legte das Pergament auf den Holztisch.

„Ja, aber meistens hat so ein Wunsch Konsequenzen. Wünschst du dir Reichtum, dann hast du ihn nur, weil du einen reichen Menschen bestohlen hast und du wirst die ganze Zeit gejagt.“ gab er zu bedenken und schaute seine Frau an. Diese erwiderte seinen Blick. „Steffan… wir könnten unsere Emma wiederhaben.“ Ein Moment des Schweigens erdrückte den Raum, ehe Steffan murmelte „Und wenn sie dann so eine Art Zombie ist, wie bei Friedhof der Kuscheltiere?“ „Was? Wie kannst du sowas sagen?“ Monis Augen verengten sich. „Es geht um unsere Tochter!“

„Ja, ich weiß… ich finde nur… warum sollte jemand uns einfach so einen Wunsch erfüllen?“ „Es ist nicht jemand, sondern dieses Pergament.“ Sie deutete auf das Blatt auf dem Küchentisch. „Achso und deswegen ist das ungefährlicher.“ „Steffan, das ist unsere Chance. Wie kannst du das nicht nutzen wollen?“ „Was ist, wenn sich da jemand einen Spaß mit dir erlaubt? Oder es nicht funktioniert? Dann ist die Enttäuschung groß und du hast sie ein zweites Mal verloren.“ „Ich? Willst du sie nicht zurück?“ „Doch, man, du weißt genau wie ich das meine. Aber mal im Ernst, die Toten wieder zurückholen?“ „Was willst du stattdessen machen? Es einfach wegschmeißen?“

Er zog das Pergament ein Stück heran und las sich die Inschrift durch. „Wir könnten… uns einen Urlaub wünschen… einfach was für uns…“ „Was? Ist das dein Ernst? Das kann doch genauso gut nicht funktionieren!“ „Ja aber dann ist die Enttäuschung nicht so groß.“ Moni ging einen Schritt zurück. „Du willst, dass wir diese einmalige Chance für einen Urlaub verschwenden?“ „Das ist doch nicht verschwendet. Wir könnten es beide gebrauchen, Moni. Wir haben es verdient, dass wir uns auch Mal was Gutes tun.“

„Wir könnten wieder mit Emmi in den Urlaub fahren, nach Sylt, so wie früher.“ „Oder wir fliegen nach Afrika.“ „Hast du nicht vorhin noch was vom Klimawandel geredet?“ „Ach Moni…“ „Nein. Steffan… willst du Emmi überhaupt wiederhaben?“ „Natürlich nur… wir haben doch ihr Zimmer auch schon ausgeräumt, wenn sie jetzt hier steht…“ „Dann kaufen wir es eben neu!“ „Dann kannst du Sylt vergessen.“ Moni verengte die Augen. „Ich scheiße auf Sylt. Vielleicht dreht das Pergament ja auch die Zeit zurück und macht diesen verdammten Unfall ungeschehen.“ „Naja… aber die Zeit… dann währen vier Jahre einfach weg. Und wir müssten Corona nochmal durchmachen.“ entgegnete Steffan und tippte auf dem Tisch rum.

„Ja und? Ich tausche sofort vier Jahre ohne Emmi, gegen vier Jahre mit ihr. Ich würde auch 20 Jahre eintauschen.“ „Ich weiß nicht Moni… ob das so gut für die Trauerverarbeitung ist. Die Vergangenheit ändern… das war noch nie eine gute Idee und was sollen die Nachbarn sagen, wenn unsere tote Tochter auf einmal wieder da ist?“ „Darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist.“ Moni nimmt das Pergament. „Keine Ahnung was dein Problem ist aber ich…“ „Warte!“ geht er dazwischen. „Was?! Steffan! Was!?“

Aber Steffan schweigt. Schaut sie nur an. „Warum willst du unsere Tochter nicht wiederhaben?“ „Die Zeit ohne sie… die haben wir doch gut genutzt. Wir hatten wieder Zeit für uns…“ In Monis Augen bilden sich Tränen. „Du willst sie gar nicht wiederhaben, oder?“ Steffan schweigt.

„Oh mein Gott… du willst Emma nicht zurück haben… du bist froh, dass sie tot ist…“ „Nein! Nein. Ich bin nicht froh, dass sie tot ist nur…“ „Nur was?! Was, Steffan?!“ ruft Moni. Er hebt abwehrend und als Geste der Beruhigung die Hände. „Du weißt ganz genau, dass Emmi und ich… ihr hattet einfach das bessere Verhältnis.“ „Und das war deine schuld!“ „Vielleicht, keine Ahnung… ich weiß nur… dass die neue Freiheit sich auch gut angefühlt hat. Ich sage nicht, dass ich Emma nicht geliebt habe aber… sie hat mich hier einfach gestört. Unsere Privatsphäre, du weißt schon. Das ist ja gar nicht böse gemeint.“ „Nicht böse gemeint? Wie? Wie soll ich das verstehen Steffan? Wie sollte Emmi das verstehen? Wenn du ihr irgendwann einmal wieder gegenüberstehst und ihr erklären musst, dass sie, deine Tochter, die du in die Welt gesetzt hast, dich stört?“ „Sie weiß, dass ich sie liebe.“

Aber Moni schüttelt den Kopf. „Woher soll sie das wissen? Wenn das die Worte sind, die aus deinem Mund kommen?“ Steffan nimmt sie bei den Schultern. „Sie hört es doch gar nicht mehr. Sie ist tot, Moni.“ „Und offensichtlich ist das eine Erleichterung für dich.“ „Das habe ich nie gesagt.“ „Doch, doch scheiße das hast du gesagt. Du hast gesagt, dass du froh bist, dass sie tot ist und dass du das Leben ohne sie mehr genießt. Ich bin so froh, dass sie das nicht hört. Stell dir vor, eine Tochter müsste sich ins Gesicht sagen lassen, dass der eigene Vater sich von ihr gestört fühlt. Stell dir nur eine Sekunde vor, wie sie sich dabei fühlen würde.“

Sie löst sich aus dem Griff. Er wird leiser. „Ich habe es nicht so gemeint.“ „Am Arsch hast du. Du hast es gesagt. Du hast gesagt, dass sie dich stört und dass du deine Freiheit lieber hast, als sie! Ich kann dich kaum noch ansehen!“ „Du weißt, dass ich manchmal Dinge sage, die ich nicht so meine.“ „Das ist egal! Du hast es gesagt! Übernimm Verantwortung, für das, was du sagst und tust verdammt! Du bist ein erwachsener Mann!“ „Ich habe Emmi immer geliebt…“ „Nicht genug, offensichtlich! Du bist ein Vater! Benimm dich wie einer! Du hast sie in diese Welt gesetzt, Emmi hat sich das nicht ausgesucht und sie hat sich dich auch nicht als Vater ausgesucht. Aber sie hat immer ihr Bestes gegeben, um zu dir eine Bindung aufzubauen. Weißt du, vielleicht will ich Emmi gar nicht zurückholen, in ein Haus, in dem sie nicht gewollt ist. Sowas wünscht man keinem. Das macht eine Seele kaputt und Kinder spüren das, wenn ihre Eltern sie nicht genug lieben. Und was das angeht, hast du noch einiges aufzuholen.“ „Moni, komm schon, es tut mir leid…“ „Du solltest dich bei Emmi entschuldigen und nicht bei mir. Ich habe gar nicht gewusst, dass du so denkst und ich… ich bin einfach nur angewidert. Ich kenne dich nicht mehr.“ „Jetzt übertreibe nicht, ich habe mich falsch ausgedrückt ich…“

„Egal was du sagst, das kannst du nicht mehr gut machen. Ich… scheiße, ich wünschte, du wärst damals gestorben anstatt Emmi!“ In dem Moment, als Moni diese Worte ausspricht, flackert die Schrift auf dem Pergament blutrot auf. Sie schlägt sich die Hand vor den Mund, doch ein Wimpernschlag später ist Stefan verschwunden und wo er gerade noch stand, ist plötzlich die 14-Jährige Version ihrer Tochter. „Mama? Hörst du mir überhaupt zu? Ich weiß jetzt endlich, was ich mir zum Geburtstag wünsche!“ Moni umarmt ihre Tochter. Nach so vielen Jahren.