Archives: Februar 16, 2025

der letzte Wunsch

„Dafür, dass wir Oktober haben, ist es echt noch richtig angenehm warm.“ „Jap. Klimawandel.“ Der Mann zieht sich die rote, mit Reflektoren gespickte Jack Wolfskin Jacke aus und bindet sie sich um die Hüfte. Er betrachtet die vielen Stände, Kisten voller Bücher und Platten, Tische vollgestellt mit zerbrechlichem Porzellan und herumstehende Haushaltsgeräte. Er bleibt stehen bei einem Stand, an welchem Pullover und Hemden an Kleiderbügel hängen.

Die Frau hingegen läuft weiter, ihr Ziel ist ein Stand voller antiker Puppen. „Was sagst du zu dem hier, Schatz?“ fragt der Mann und hält den Ärmel eines blau karierten Hemdes mit einer aufdringlichen ‚Camp David‘ Aufschrift hoch. Als er keine Antwort erhält, dreht er sich irritiert um und erblickt die hochgesteckten, braunen Locken seiner Frau einen Stand weiter.

Er lässt den Ärmel los und geht zu eben dieser, welche eine Handgroße Stoffpuppe mit glasigen, ausdruckslosen Augen in ihrer Hand dreht. „Sieh nur, wie süß, oder?“ „Eher gruselig. Die ganzen Puppen erinnern mich eher an… an Annabell, oder hier, den anderen, wie hieß der noch? Ben? Naja du weißt schon, die männliche Horrorpuppe halt.“ „Ach du wieder… wie kann man Angst vor Puppen haben?“ „Schau sie dir doch an… die toten Augen.“ „Die können gar nicht tot sein, weil sie nie gelebt haben. Etwas, was nicht gelebt hat, kann auch nicht tot sein.“

Sie legt die Puppe wieder hin und geht weiter. Er folgt ihr. „Und du denkst, wir finden hier ein passendes Geschenk für Henriette?“ fragt sie und beugt sich leicht runter, um einen Kompass näher zu betrachten. „Weiß nicht, dachte mir, man kann es ja probieren. Zum Bestellen ist es ja jetzt zu spät.“ erwidert er. Sie dreht sich zu ihm. „Ja Steffan. Ich habe dir schon vor Wochen gesagt, du sollst dich kümmern.“ „Du hättest mich ruhig zwischendurch mal daran erinnern können.“ „Sie ist deine Schwester!“ „Du weißt doch ganz genau, dass Geschenke machen nicht mein Ding ist.“ er beginnt an einem Tischtuch herumzufiddeln.

„Ja… deswegen sind wir jetzt hier.“ murmelt sie und nimmt ein in Leder geschlagenes Notizbuch zur Hand. Vorsichtig fährt sie mit ihren Fingern über die Rillen. Dann richtet sie sich auf und verschränkt die Arme vor der Brust. „Aber klar, vielleicht finden wir ja zwischen den Weltkriegsgeschichten und Möbeln, die älter sind als deren Inhalt ein passendes Geschenk für deine Schwester.“ Ihr dünner Mund verzieht sich kaum beim Sprechen und als sie Steffan ansieht, zucken ihre braunen Augen hoch und runter.

„Du bist so negativ.“ Sagt er und wendet sich ab um weiter zu gehen, vorbei an den stehen gebliebenen Uhren und Münzen, mit denen keiner mehr bezahlt. Sie geht hinter her und öffnet dabei den Reißverschluss ihrer blauen, mit Reflektoren gespickten Jack Wolfskin Jacke. „Hier, was ist damit?“ „Eine Lampe?“ „Ja, die ist in so einer Blumenform, Henriette mag doch Blumen.“ Er hält die goldene Lampe mit Buntglasschirm in der Hand und schaut seine Frau an.

„Henriette hat vor zwei Monaten ihr drittes Kind bekommen und du willst ihr eine Glaslampe schenken.“ In Anbetracht seiner schlechten Idee lässt Steffan sein Gesicht und die Lampe sinken und stellt das fast Antike Möbelstück wieder hin. „Na, willst du ihr vielleicht was fürs Kind schenken?“ „Das wollte ich von Anfang an, Steffan, aber du hast es ja immer wieder verschoben.“ erwidert sie. „Na, dann lass uns doch jetzt noch was fürs Kind besorgen.“ „Wie denn? Es ist Sonntag.“ „Vielleicht finden wir ja hier auf dem Flohmarkt was fürs Kind?“

„Ach? Das ist ja mal eine Idee. Da wäre ich ja nie draufgekommen.“ Sie geht an ihm vorbei. Er folgt ihr. Bei einem Stand mit altem Kinderspielzeug bleibt sie stehen. „Da. Such dir was aus.“ „Ach man Moni. Wir machen das doch zusammen.“ „Ja? Tun wir das? Dinge zusammen?“ Steffan nimmt eine Stofftaube zur Hand. „Die ist doch süß, oder?“ „Hat Knopfaugen, das Kind könnte sie verschlucken.“

Er legt sie wieder hin. Mit seinen Fingern fährt er über die weichen Stofftiere, auf der Suche nach einem passendem. Moni geht einen Schritt weiter. „Hier. Hier liegen die, für Neugeborene. Schau Mal, der Delfin. Henriette mag doch Delfine.“ „Ja… super. Dann haben wir es doch.“ nickt er. Sie winkt die Verkäuferin heran. „Wie viel für den Delfin.“ „Alle Stofftiere fünf Euro.“ Moni nickt, holt ihr Portemonnaie hervor und bezahlt das Stofftier. „Herzlichen Glückwunsch euch.“ lächelt die Verkäuferin. „Hm?“ „Na zum Neugeborenen.“ „Ist nicht für uns.“ erwidert Moni. „Oh…“ Die Verkäuferin packt das Stofftier in eine Papiertüte und reicht sie Moni.

„Wollen wir noch was Essen gehen?“ Steffan schaut zu den Essensbuden. „Wir haben noch von gestern.“ Moni geht weiter. Schon von weitem öffnet Steffan das Auto, nur, indem er in der Nähe ist. Schlüsselloses Zugangssystem, da war Steffan besonders stolz drauf. Als er Moni dieses zum ersten Mal zeigte, sagte diese nur, dass diese Funktion völlig sinnlos war. Und die Faulheit, nicht mehr auf einen Knopf drücken zu müssen, wieder typisch für ihn war.

Moni steigt auf der Beifahrerseite ein, Steffan besetzt den Fahrersitz. „Du muss das heute noch einpacken.“ sagt Moni und legt die Papiertüte auf ihren Schoss. „Mach ich.“ „Machst du eh nicht.“ „Doch mach ich.“ Steffan machte es nicht. Am Abend holt Moni die Papiertüte vom voll beladenen Telefontisch und trägt sie in die mit teuren Geräten und einem Smart-Kühlschrank eingerichtete Küche. Dann holt sie Geschenkpapier aus dem Keller, Schere und Geschenkband. Sie seufzt leise. Steffan betritt die Küche.

„Ich hätte es noch gemacht.“ „Mhm.“ „Wirklich.“ Moni greift in die Tüte, um das Stofftier hervorzuholen. Plötzlich berührt sie etwas Unerwartetes. Mit zusammengezogenen Augenbrauen, zieht sie eine versiegelte Pergamentrolle hervor. „Was ist das denn?“ fragt er sie. „Eine Pergamentrolle.“ „Ja, das sehe ich auch.“ Sie fährt mit ihren Fingern über das Siegel. „Mach auf.“ fordert er sie auf. „Findest du es nicht merkwürdig, dass da eine Pergamentrolle in der Tüte ist?“ entgegnet sie. „Keine Ahnung, vielleicht ist das so ein Geschenk, weil man was gekauft hat?“ Moni schaut ihn skeptisch an. „Das klingt nicht sinnvoll.“ „Machst du sie jetzt auf oder nicht?“

Moni fährt mit der Schere vorsichtig unter das Wachssiegel mit dem hübschen Stern darauf und öffnet es. Ein einziger Satz stand darauf. Moni las vor „Wer die Worte ‚Ich wünsche mir‘ ausspricht, wird das Schicksal lenken. Aber sei achtsam, einmal gesagt, kann es nicht zurückgenommen werden.“ In diesem Moment leuchtete die zuvor schwarze Schrift Feuerrot auf. „Glaubst du, das ist echt?“ fragte Steffan als erstes. „Die Schrift leuchtet, glaubst du, das macht normale Schrift einfach?“ „Naja nein aber… ein Wunsch? Wir können uns jetzt alles wünschen was wir wollen? Sowas hat doch immer eine Begrenzung.“ „Es ist nur einer.“ entgegnete Moni und legte das Pergament auf den Holztisch.

„Ja, aber meistens hat so ein Wunsch Konsequenzen. Wünschst du dir Reichtum, dann hast du ihn nur, weil du einen reichen Menschen bestohlen hast und du wirst die ganze Zeit gejagt.“ gab er zu bedenken und schaute seine Frau an. Diese erwiderte seinen Blick. „Steffan… wir könnten unsere Emma wiederhaben.“ Ein Moment des Schweigens erdrückte den Raum, ehe Steffan murmelte „Und wenn sie dann so eine Art Zombie ist, wie bei Friedhof der Kuscheltiere?“ „Was? Wie kannst du sowas sagen?“ Monis Augen verengten sich. „Es geht um unsere Tochter!“

„Ja, ich weiß… ich finde nur… warum sollte jemand uns einfach so einen Wunsch erfüllen?“ „Es ist nicht jemand, sondern dieses Pergament.“ Sie deutete auf das Blatt auf dem Küchentisch. „Achso und deswegen ist das ungefährlicher.“ „Steffan, das ist unsere Chance. Wie kannst du das nicht nutzen wollen?“ „Was ist, wenn sich da jemand einen Spaß mit dir erlaubt? Oder es nicht funktioniert? Dann ist die Enttäuschung groß und du hast sie ein zweites Mal verloren.“ „Ich? Willst du sie nicht zurück?“ „Doch, man, du weißt genau wie ich das meine. Aber mal im Ernst, die Toten wieder zurückholen?“ „Was willst du stattdessen machen? Es einfach wegschmeißen?“

Er zog das Pergament ein Stück heran und las sich die Inschrift durch. „Wir könnten… uns einen Urlaub wünschen… einfach was für uns…“ „Was? Ist das dein Ernst? Das kann doch genauso gut nicht funktionieren!“ „Ja aber dann ist die Enttäuschung nicht so groß.“ Moni ging einen Schritt zurück. „Du willst, dass wir diese einmalige Chance für einen Urlaub verschwenden?“ „Das ist doch nicht verschwendet. Wir könnten es beide gebrauchen, Moni. Wir haben es verdient, dass wir uns auch Mal was Gutes tun.“

„Wir könnten wieder mit Emmi in den Urlaub fahren, nach Sylt, so wie früher.“ „Oder wir fliegen nach Afrika.“ „Hast du nicht vorhin noch was vom Klimawandel geredet?“ „Ach Moni…“ „Nein. Steffan… willst du Emmi überhaupt wiederhaben?“ „Natürlich nur… wir haben doch ihr Zimmer auch schon ausgeräumt, wenn sie jetzt hier steht…“ „Dann kaufen wir es eben neu!“ „Dann kannst du Sylt vergessen.“ Moni verengte die Augen. „Ich scheiße auf Sylt. Vielleicht dreht das Pergament ja auch die Zeit zurück und macht diesen verdammten Unfall ungeschehen.“ „Naja… aber die Zeit… dann währen vier Jahre einfach weg. Und wir müssten Corona nochmal durchmachen.“ entgegnete Steffan und tippte auf dem Tisch rum.

„Ja und? Ich tausche sofort vier Jahre ohne Emmi, gegen vier Jahre mit ihr. Ich würde auch 20 Jahre eintauschen.“ „Ich weiß nicht Moni… ob das so gut für die Trauerverarbeitung ist. Die Vergangenheit ändern… das war noch nie eine gute Idee und was sollen die Nachbarn sagen, wenn unsere tote Tochter auf einmal wieder da ist?“ „Darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist.“ Moni nimmt das Pergament. „Keine Ahnung was dein Problem ist aber ich…“ „Warte!“ geht er dazwischen. „Was?! Steffan! Was!?“

Aber Steffan schweigt. Schaut sie nur an. „Warum willst du unsere Tochter nicht wiederhaben?“ „Die Zeit ohne sie… die haben wir doch gut genutzt. Wir hatten wieder Zeit für uns…“ In Monis Augen bilden sich Tränen. „Du willst sie gar nicht wiederhaben, oder?“ Steffan schweigt.

„Oh mein Gott… du willst Emma nicht zurück haben… du bist froh, dass sie tot ist…“ „Nein! Nein. Ich bin nicht froh, dass sie tot ist nur…“ „Nur was?! Was, Steffan?!“ ruft Moni. Er hebt abwehrend und als Geste der Beruhigung die Hände. „Du weißt ganz genau, dass Emmi und ich… ihr hattet einfach das bessere Verhältnis.“ „Und das war deine schuld!“ „Vielleicht, keine Ahnung… ich weiß nur… dass die neue Freiheit sich auch gut angefühlt hat. Ich sage nicht, dass ich Emma nicht geliebt habe aber… sie hat mich hier einfach gestört. Unsere Privatsphäre, du weißt schon. Das ist ja gar nicht böse gemeint.“ „Nicht böse gemeint? Wie? Wie soll ich das verstehen Steffan? Wie sollte Emmi das verstehen? Wenn du ihr irgendwann einmal wieder gegenüberstehst und ihr erklären musst, dass sie, deine Tochter, die du in die Welt gesetzt hast, dich stört?“ „Sie weiß, dass ich sie liebe.“

Aber Moni schüttelt den Kopf. „Woher soll sie das wissen? Wenn das die Worte sind, die aus deinem Mund kommen?“ Steffan nimmt sie bei den Schultern. „Sie hört es doch gar nicht mehr. Sie ist tot, Moni.“ „Und offensichtlich ist das eine Erleichterung für dich.“ „Das habe ich nie gesagt.“ „Doch, doch scheiße das hast du gesagt. Du hast gesagt, dass du froh bist, dass sie tot ist und dass du das Leben ohne sie mehr genießt. Ich bin so froh, dass sie das nicht hört. Stell dir vor, eine Tochter müsste sich ins Gesicht sagen lassen, dass der eigene Vater sich von ihr gestört fühlt. Stell dir nur eine Sekunde vor, wie sie sich dabei fühlen würde.“

Sie löst sich aus dem Griff. Er wird leiser. „Ich habe es nicht so gemeint.“ „Am Arsch hast du. Du hast es gesagt. Du hast gesagt, dass sie dich stört und dass du deine Freiheit lieber hast, als sie! Ich kann dich kaum noch ansehen!“ „Du weißt, dass ich manchmal Dinge sage, die ich nicht so meine.“ „Das ist egal! Du hast es gesagt! Übernimm Verantwortung, für das, was du sagst und tust verdammt! Du bist ein erwachsener Mann!“ „Ich habe Emmi immer geliebt…“ „Nicht genug, offensichtlich! Du bist ein Vater! Benimm dich wie einer! Du hast sie in diese Welt gesetzt, Emmi hat sich das nicht ausgesucht und sie hat sich dich auch nicht als Vater ausgesucht. Aber sie hat immer ihr Bestes gegeben, um zu dir eine Bindung aufzubauen. Weißt du, vielleicht will ich Emmi gar nicht zurückholen, in ein Haus, in dem sie nicht gewollt ist. Sowas wünscht man keinem. Das macht eine Seele kaputt und Kinder spüren das, wenn ihre Eltern sie nicht genug lieben. Und was das angeht, hast du noch einiges aufzuholen.“ „Moni, komm schon, es tut mir leid…“ „Du solltest dich bei Emmi entschuldigen und nicht bei mir. Ich habe gar nicht gewusst, dass du so denkst und ich… ich bin einfach nur angewidert. Ich kenne dich nicht mehr.“ „Jetzt übertreibe nicht, ich habe mich falsch ausgedrückt ich…“

„Egal was du sagst, das kannst du nicht mehr gut machen. Ich… scheiße, ich wünschte, du wärst damals gestorben anstatt Emmi!“ In dem Moment, als Moni diese Worte ausspricht, flackert die Schrift auf dem Pergament blutrot auf. Sie schlägt sich die Hand vor den Mund, doch ein Wimpernschlag später ist Stefan verschwunden und wo er gerade noch stand, ist plötzlich die 14-Jährige Version ihrer Tochter. „Mama? Hörst du mir überhaupt zu? Ich weiß jetzt endlich, was ich mir zum Geburtstag wünsche!“ Moni umarmt ihre Tochter. Nach so vielen Jahren.


Das unangenehmste an Pride sind heterosexuelle Männer

Es war Pride-Month! Wuhu! Ich werde mir nicht die Mühe machen über die lächerliche AFD mit ihrem Stolzmonat zu berichten, sondern mit schönen Themen weiter machen. Pridefeste! Wuhu! *insert Feier-Emoji* Dieses Jahr schaffe ich meinen Rekord mit drei Pridefesten!

Aktuell bin ich bei 2 von 3. Aaaaand I love it. Pridefeste sind die besten Feste. Deswegen bin ich auch am liebsten im Buscheclub. Die Queere Community macht einfach Spaß und die können feiern. So richtig gut feiern. Alle sind gut drauf, nett, freundlich, einfach wunderbar. Und es gibt so viel zu sehen. So viele geile Outfits bei denen ich mir denke „Damn I want that!“

Naja und dann waren da noch die Heteromänner. Diese Typen, die Pöbeln, die grabschen und dich belabern. Zugegeben, Arschlöcher gibt es überall. Aber ich habe nun mal mit vier Heteromännern an zwei Festen unangenehme Erfahrungen gemacht und mit einem Homosexuellen Mann. Und mit keiner Frau, auch keiner homosexuellen, nur mal so. Also hier von wegen es wäre mein Outfit gewesen, oder ich würde die Menschen irgendwie einladen oder so ein Bullshit, vergiss es. Das ist nicht wahr. Frauen fallen ja auch nicht über mich her. Es liegt an dir, Peter, nicht an mir. Du Bitch.

(Den nächsten Textteil habe ich unmittelbar nach einer Situation mit einem solchen Peter geschrieben; mit ca, 2 Flaschen Prosecco intus)

Ich bin gerade auf dem Motzfest. Es ist schön, ich habe Spaß. 99% der Menschen sind toll, ich habe drei wunderschönen Frauen beim Umziehen geholfen. Bevor das komisch kommt, ich Helfer bei einem Kleidungsshop. Ohne Bezahlung, einfach für den Spaß.

Ich weiche ab.

99% der Menschen sind toll, lustig, respektvoll, lgbtq, meine liebste community. Gleich neben der mit der Triskele. Ring der O, naja if you know, you know. Ich traf die 1%. Die 1% in Gestalt eines dicken Mannes mit längeren Haaren als ich. Ich traf ihn, neben dem Laden, als ich da saß, mir Luft zu fächerte und pausierte. Er quatschte mich an, offensichtlich betrunken.
Ich nahm hin, redete, war freundlich, er nuschelte viel und ich habe ein schlechtes Gehör. Tolle Kombination.

Er fragte mich ständig nach meinem Namen, als er ihn dann, beim fünften Mal, verstanden hatte, schrie ihn laut heraus. Schon während des Gesprächs dachte ich, crazy, wie die Männer dich als Frau immer voll anquatschen und denken, das wäre komplett legitim. Aber ich blieb nett, natürlich.

Manchmal brüllte der Mann einzelne Worte, ich fand ihn unangenehm. Sein Kumpel ging pinkeln, der Typ erzählte mir von Evanscene und ich bin mir sicher, dass er diese Band völlig anders aussprach, aber es war mir die Diskussion nicht im Ansatz wert.

Einige unangenehme Sekunden später patschte der dicke Typ auf mein Knie. Und I don’t fucking care ob der Typ dick oder dünn, muskelbepackt oder schmächtig war, es war unangenehm. Grob und Aua. Ich sage nichts. Weil perplex, weil zu schnell. Zwei Minuten später das gleiche Spiel. Ich schiebe seine Hand von meinen Knie.

Nicht aber ohne zu überlegen, ob ich nicht falsche Signale sende, immerhin habe ich es beim ersten Mal zugelassen. Wtf. Und wenn ich ihn 25 Mal mein Knie anpacken lasse, wenn es mir beim 26. Mal unangenehm ist, hat er seine Griffel von mir zu lassen. Let me educate you girls, ein nein ist ein nein. Und es ist scheiß egal, was ihr vorher gemacht habt, ob ihr euch angefasst habt, ob ihr geknutscht habt und selbst wenn ihr beim scheiß bumsen seid und dann keinen Bock mehr habt, dann hat man Grenzen einzuhalten. Hast du kein Bock mehr, hast du kein Bock mehr. Und wenn du vorher schon kein Bock hattest, dann ist es egal, ob du dich drei Mal nicht getraut hast, nein zu sagen, beim vierten Mal hat es genauso viel Gewicht. Ende.

Der Mann redet weiter und weiter, labert mich zu, ich denke darüber nach, wie typisch das ist, Männer die eine Frau zulabern, weil Frauen allgemein als Verständnisvoll und sanftmütig gesehen werden. Ein Phänomen, das mir noch so oft begegnen würde.

Wir sind mittlerweile bei seiner Katze angekommen. Er patscht mir wieder aufs Knie, dieses Mal so grob, das es weg tut, dann schreit er meinen Namen.
Er fragt mich wer ich bin. Ich weiß darauf keine Antwort. Ja, wer bin ich , dass ich sowas zulasse? Ich predige allen Frauen um mich herum, lasst euch nichts gefallen, setzt euch für euch ein und was tue ich? Da sitzen und darüber nachdenken, analysieren, was gerade passiert.

Ich bitte ihn, eine genauere Frage zu stellend, warum eigentlich? Ich will mich nicht mit ihm unterhalten, er ist mir unangenehm. Irgendwann geht er. Er will mich umarmen, ich sage nein. Er schaut mich traurig an. Ich gehe. Ihr denkt, die Story ist damit vorbei. Ha. Ha. Ha.

Es dauert keine zwei Minuten, da steht der Typ wieder in dem Laden, will mich wieder umarmen. Ich ducke mich unter seinem Arm weg und flüchte in den Laden. So, jetzt müsste er es aber verstanden haben. Yeah no. Er kommt nochmal an. Aber ich bin mittlerweile so genervt und auch so gestresst, dass ich ihn anschreie „Dreimal nein ist nein!“ Er geht weg. Ich habe gewonnen. Oder?

Ich neige dazu, viel zu viel nachzudenken, wenn ich alleine unterwegs bin und ich bin in letzter Zeit öfter Mal alleine unterwegs. Ich denke über die Situation nach und ich bereue. Ich bereue dem Mann nicht in Fresse geschlagen zu haben. Denn ich habe gelernt, dass meine Sprache nichts bedeutet, weder meine Worte, noch meine Körpersprache haben gereicht, damit er meine Grenze respektiert. Ich denke darüber nach, dass er ja eigentlich nur eine Umarmung mag. Ich umarme sehr wenig Menschen. Fremde schon gar nicht. Es dauert lange bis ich jemanden umarme. Und eigentlich ist das auch egal.

Denn es ist egal ob er „nur“ eine Umarmung wollte, oder mit mir ficken. Ich wollte nicht und mein aller erstes Nein hätte genug sein sollen. Wie traurig ist denn das bitte, dass ich mich so entmachtet fühle, dass ich über Gewalt fantasiere, um meiner Ohnmacht zu entkommen. Und ich bin nicht die Einzige. Auch andere Autorinnen bekannten sich dazu, regelmäßig mit Gewalt auf grabschende Männer zu reagieren und dass es ihnen hilft, sich empowert zu fühlen.

Es ist einfach egal was ich sage. Das ist das, was ich immer und immer wieder sehe. Und das macht mich so wütend. Ich bin ein Mensch und ich will nicht Gewalt anwenden müssen, um nicht angefasst zu werden. Eigentlich will ich eigentlich auch nicht ständig nein sagen müssen, sondern ja sagen können. Denn nur ja ist ja.

(Ab hier geht es wieder nüchtern weiter)

Zweitsprung, zwei Wochen später, CSD Berlin, ich bin wieder alleine unterwegs. Ich habe Spaß, ich muss es wiederholen, 99% der Menschen sind cool. Aber 1% sind scheiße und diese 1% bestehen zu 80% aus heterosexuellen Männern. Es ist 23 Uhr, ich tanze bei einem der Wagen. Neben mir ein Mann, bestimmt um die 40, hager und er tanzt mit mir. Ich mag Menschen und ich bin gerne kommunikativ. Aber ich bin ungerne nach dem ersten Tanz verheiratet.  Aber genau das passiert. Ein Tanz und der Typ hängt die ganze Zeit an dir dran, quatscht dich voll, auch hier wieder das Problem, nuscheln, Lautstärke und schlechtes Gehör, mittlerweile frage ich nicht mehr nach, es ist mir egal was der Typ mir erzählt. Was mir nicht egal ist, dass der Typ ständig zu mir schaut. Gehe ich ein Stück nach links, folgt er mir. Irgendwann wandert eine große Gruppe und ich verschwinden zwischen ihnen. In solchen Momenten ist klein sein ein wahrer Segen.

Ich gehe pinkeln. Bestimmt gibt es irgendwo Dixiklos, aber die kann man zu so einer Uhrzeit eh vergessen und es gehen sowieso alle in die Büsche nebenanpinkeln. Doch während ich mich so auf die Suche nach einem geeigneten Platz mache, denke ich schon wieder nach. Wie gesagt, dass mache ich viel zu intensiv in diesen Situationen und ich würde echt viel dafür geben, dass ich das lassen könnte.

Jedenfalls gehe ich in das Waldstück und überlege, was, wenn sich da jetzt irgendein Creep versteckt? Oder mir einer folgt? Der Typ von eben? Oder was, wenn mir jetzt zufällig irgendein Psycho begegnet. Und so bleibe ich noch da, wo ich das Licht der Laternen noch sehen kann und ärgere mich darüber, wie viel Leichtigkeit mir genommen wird, einfach nur, weil ich eine Vulvina und Brüste habe. Ich ärgere mich über diesen Bullshit und darüber, dass ich mir eintausend Gedanken machen muss.

Spoiler, es gab keinen Creep, ich lebe noch. Lebe noch und stürze mich in die Menge. Plötzlich tanzt mich ein Homosexueller Mann an. Wir tanzen einen Tanz, danach lässt er mich in Ruhe. Happy Pride my guys. Thats what i’m talking about. Zugegeben, auch da sind nur zwei von der Dreiergruppe cool. Denn der eine holt plötzlich ein Fläschchen hervor, hält mein Nasenloch zu und dich Flasche unter das andere Nasenloch. Jetzt denkt man „Wie kann denn sowas passieren? Das merkt man doch.“ Nein tut man nicht, das geht recht schnell erstens und zweitens rechnet man auch schlicht nicht mit so einer Scheiße.

Ich habe den Typen gefragt was das war, ihn aber, surprise surprise, nicht verstanden. Wahrscheinlich war es Poppers. Ich habe gar nichts gemerkt. Naja, dafür habe ich das wahrscheinlich auch nicht lange genug eingeatmet. Finde ich trotzdem scheiße. Und das schlimme ist, niemand würde mit mir darüber diskutieren, warum das scheiße ist. Niemand würde sagen „Ja, aber du hast ja mit ihm getanzt, er konnte ja nicht wissen, dass du das nicht willst. Und außerdem hattest du ja einen Rock an.“ Und warum nicht? Genau, weil Kleidung und zusammen Tanzen nicht automatisch Drogen einnehmen bedeuten.

Die etwas Schnelleren haben schon begriffen worauf ich hinaus will, für die langsamen hier nochmal ganz deutlich. Nichts was ich tue, kein Outfit, keine Handlung, legitimiert irgendeinen nächsten Schritt, ohne das Gefragt wurde. Und hört mir bloß auf mit „Aber es zerstört das Feeling, wenn er fragt, ob er mich küssen will.“ Du bist einfach nur dahingehend sozialisiert worden, dass das irgendwie romantisch oder heiß ist, weil wir das in Film und Fernsehen so vorgelebt bekommen. Weißt du was aber vor allem das Feeling zerstört? Sexueller Missbrauch. Das ist ein Stimmungskiller.

Mir ist nichts passiert an dem Abend, ich habe, wie gesagt, nichts von der Droge gespürt, mich aber dann auch recht schnell von der Gruppe wegbewegt. Halb eins Nachts, die Party ist vorbei, ich sitze am Straßenrand und überlege, wo mich ein Uber am besten abholen könnte, meine Füße tun weh. Ein Typ spricht mich an, fragt mich, ob ich Feuer hätte, moment, Deja vu?

Er ist ganz nett, bestimmt Mitte dreißig, plötzlich kommen seine Freunde dazu. Er sagt, sie würden gleich weiter ziehen, feiern gehen und fragt, ob ich mitkommen will. Ich frage, wo sie denn hingehen würden, er sagt Busche Club. Ich sage, dass ich kein Geld mehr habe, er sagt, dass sei kein Problem, sein Kumpel Ronny bezahlt. Ich frage, wie sie denn zum Club kommen wollen, (Ja, ich gebe zu, ich hätte nicht fragen sollen, ich war schlicht neugierig) sie sagen, mit Öffi, aber sie müssten noch kurz zum Auto, seinen Rucksack holen. Ich lehne dankend ab, ich bin ja auch schon müde. Aber er findet mich doch so süß und sein Kumpel würde alles bezahlen, ich müsste mir keine Gedanken machen. Ich lehne erneut ab, wünsche ihnen viel Spaß. Sie wiederholen, dass ich gerne mitkommen kann, ich sage erneut nein, sie ziehen weiter.

Ich glaube nicht, dass mir die Gruppe was getan hätte. Aber in meinen Gedanken spulten sich schon die schlimmsten Horrorgeschichten ab. Erstens, Ronny bezahlt? Ganz schlecht, am Ende will der Sex, weil er meine Getränke bezahlen würde. Oder der holt mir was und macht was in mein Getränk. No way. Und die Nummer mit dem Auto? Ganz gefährlich. Wie schnell liege ich da tot im Wagen? Oder schlimmer.

Ich sitze noch eine Weile am Straßenrand und beobachte die Menge. In meiner Hand ein widerlicher Becher Vodka Soda, wie kann ein so cool klingendes Getränk so widerlich sein? Plötzlich setzen sich drei junge Männer zu mir. Inder, Ingenieurstudenten, wie sie mir erzählen.  Wir unterhalten uns auf Englisch, ich gebe dem einen Typen Beziehungstipps. Denn, so ist das, als weiblich gelesenes Mitglied dieser Gesellschaft. Ich bin dazu da, Sorgen und Nöte aufzufangen und abzufangen. Ich bin dazu da zuzuhören.

Der Abend endet langsam, einer der Typen erklärt mir, dass er LSD genommen hat und ich nun aussehe wie der Teufel. Passend, eigentlich. Ich berate sie schließlich noch bei der Wahl ihres Hundes, ein Kampfhund ist nämlich eine blöde Wahl für einen ersten Hund, dann fahre ich mit dem Uber nach Hause.

Update, drei Wochen sind vergangen, ich war mittlerweile auch beim CSD Hamburg. Aber ich war nicht bis abends da, Mama war dabei. Wir haben gelacht, getanzt und Spaß gehabt und am Ende des Tages muss ich sagen. Die Queere Community ist meine allerliebste Community, ich freue mich auf den nächsten Pridemonth und werde trotz allem zu so vielen Queeren Festen wie möglich gehen. Denn am Ende des Tages sind das unangenehmste an Pride Heterosexuelle Männer.


Wort-Schatz

„Sprich die Menschen an.“

Haben sie gesagt.

„Sag was du fühlst“

Haben sie gesagt.

„Sei mutig.“

Haben sie gesagt. 

Nun stehe ich hier. Auf einem Festival voller Menschen, voller bunter Haare und voller Statements und bin alleine. So alleine. Um mich herum sind so viele Worte, laute Worte, die besser leise wären, gerade Worte, die besser krumm wären, wichtige Worte, die besser unwichtig wären. Sie alle reden und reden und lesen und lesen und doch haben sie nicht zu sagen. Nichts was für mich von Bedeutung wäre. Denn ich sehe sie alle miteinander sprechen, sehe sie alle lachen. Nur ich spreche mit niemanden. Ich habe nichts zum Lachen.

Ich verstehe sie nicht. Ich lehne sie ab. Ich verabscheue sie. Diese Menschen. Sie sind naiv. Sie glauben alles zu wissen und doch verstehen sie mich nicht. Das werden sie nie. Mit verschränkten Armen stehe ich am Rand des Festivals. Prosanova. Was ist das überhaupt für ein unaussprechlicher Name? Wer hat sich das ausgedacht? Bestimmt einer von diesen privilegierten Studenten. Ich hatte noch nie ein Privileg. Kein einziges.

Sie meiden mich, weil ich immer eine Waffe bei mir trage, aber werden selber dann verletzt, sie meiden mich, weil ich genau weiß wo der Larynx liegt, aber verschlucken sich an ihrer eigenen Spucke, sie meiden mich, weil ich die Serienkiller nach der Anzahl ihrer Opfer aufzählen kann, aber schreiben Jeffrey Dahmer Briefe.

Mein Blick schweift über die Menschen. Wie viele Frauen habe ich auf der Party angesprochen? Fünf? Zehn? Immer die gleichen Ausreden. Kein Interesse, sie hätten einen Freund oder wären lesbisch. Sie lehnen mich nur ab, weil ich nicht so laut bin wie die anderen. Weil ich ehrlich bin und nicht nur bequeme Lügen verbreite. Aber ich wollte sie alle sowieso nicht. Keine von denen konnte mich je begeistern. Sie sind alle langweilig, einheitlich.

Eine Menschenmenge baut sich vor mir auf. Sie setzen sich auf die Stühle. Schon wieder so eine Lesung von einem Autor, der doch eigentlich nichts über wahren Schmerz weiß. Ich verdrehe die Augen. Klar, die Menschen hier sind alle fröhlich, sie haben alle andere Menschen um sich herum. Natürlich schauen sie nicht zu mir, ich werde immer übersehen. Meine Worte immer überhört.

Ich will mich umdrehen, das Gelände verlassen, da betritt sie die Bühne. Drei Sekunden und ich bin in ihrem Bann gefangen. Ihre Beine, so lang und grazil, ihre Haare sehen weich und glänzend aus, ihr Mund ist so rot und voll und ihre Schultern wirken so schmal und zierlich. Ich beobachte, wie ihr Hals sich bewegt, wenn sie spricht, wie die Spucke ihren Hals hinuntergleitet, wenn sie schluckt. Die vielen Muskeln die zucken und vibrieren. Ihr Kiefer, der auf und ab tanzt.

Und plötzlich fängt sie an zu lesen. Und sie liest, von Einsamkeit, von Schmerz und von Hoffnung und ich habe nie in meinem Leben wahrere Worte gehört. Sie ist fantastisch, ehrlich und trifft mich genau in meinem blutigsten Punkt. Ich sehe ihr zu, wie ihre Finger über ihren weichen Hals streichen, wie sie ihren Kehlkopf umspielen, genau da wo die Stimmenbänder liegen. Diese Stimme, so klar, so stark, ich will vor ihr knien und ihr zuhören, Tag um Tag, Stunde um Stunde, Minute um Minute, Sekunde um Sekunde.

Manchmal streicht sie ihre schweren Haare zurück und offenbart ihre Halswirbel. Ich komme ihr näher, umkreise vorsichtig die Bühne. Von hinten kann ich es sehen, die Knochen, die leicht hervorstehen, ich kann sie beinahe zählen. Plötzlich hört sie auf zu lesen. Die Menschen applaudieren. Als hätte irgendjemand ihre Worte verstanden. Nur ich konnte verstehen, konnte fühlen, was sie las, denn sie hat es für mich gelesen. Nur für mich.

Ich beobachte, wie sie von der Bühne steigt, wie sie bejubelt wird. Menschen kommen auf sie zu, wollen sie beglückwünschen, aber letztendlich weiß doch keiner wirklich, was sie gerade erzählt hat. Nur ich weiß das. Weitere Autorinnen kommen auf die Bühne, eine belangloser als die andere, aber sie, sie klatscht bei ihnen allen, als wäre sie sich ihrer eigenen Überlegenheit nicht bewusst.

Endlich ist diese Lesung vorbei.

„Sprich die Menschen an.“

Haben sie gesagt.

Ich stehe neben ihr, atme ihren Duft ein. Sie riecht nach einer frisch geöffneten Fliegenfalle und den kaputten Resten eines Ballons. Ich öffne den Mund, habe das Gefühl, meine Worte könnten niemals ausreichen, um ihrer gerecht zu werden. Aber sie lächelt und ihre Worte für mich, sind wie Nadel und Faden für meine Seele.

Doch dann wird sie von den Anderen weggezogen. Zu einer Party. Ich glaube nicht, dass dieser Mensch Partys mag. Aber ich bleibe stehen, unfähig, etwas zu tun und sehe sie davonlaufen. Ich kann es nicht fassen. Ich darf sie nicht verlieren. Aber in dieser Menge komme ich niemals an sie ran. Also folge ich ihr. Bleibe bei ihr. Immer bei ihr. In ihrer Nähe.

Sie tut so, als würde ihr diese Party Spaß machen. Ich glaube ihr das nicht. Dieser Mensch ist nicht für Partys gemacht. Er ist für mich gemacht. Wir beide, gegen den Rest der Welt. Wir beide, für immer gegen alle Anderen. Wir beide.

Sie geht weg. Zieht sich zurück, in eines dieser leeren Klassenräume. Sie setzt sich auf den Tisch. Der braune Holztisch, der schon ganz zerkratzt ist. Blaue Delfine lachen im Hintergrund.

„Sag was du fühlst.“

Haben sie gesagt.

Aber sie lächelt nur, bedankt sich nochmal. Dann schaut sie mich an. Sie will das ich den ersten Schritt mache. Also sprudelt es aus mir heraus, all meine Gefühle, meine Verehrung, für sie, für ihre Worte, für ihre Stimme. Ich nehme ihre Hände. Aber sie entreißt sie mir. Sie will gehen.

Ich kann es nicht glauben. Ich kann nicht glauben, dass diese Stimme nun geht, dass diese Worte sich meiner verwehren. Das ist nicht richtig. Das darf nicht sein. Ich will ihre Stimme bei mir behalten. Ich will ihre Worte bei mir behalten. Ich will sie bei mir behalten.

„Sei Mutig“

Haben sie gesagt.

Also greife ich ihr Handgelenk. Ihre Stimme, ihre Worte, ich kann sie nicht gehen lassen. Sie ist so leicht und mein Messer so scharf. Wie schnell dauert es, einen Hals aufzuschneiden? Meine Klinge durch die zarte Haut zu drücken? Wenige Sekunden. Aber ihre Stimme, sie verstummt. Was habe ich getan?

Ich schneide tiefer, lege Haut zur Seite, finde Muskeln. Finde schimmernd rote Muskeln. Mein Messer bohrt sich tiefer, Blut läuft über glatten Boden, bildet Pfützen und Rinnsale. Ich finde ihren Ringknorpel, ob ich ihn entnehmen kann? Mit etwas Kraft halte ich ihn in der Hand. Er ist voller Blut. Ich lecke es ab. Die bläuliche Farbe fasziniert mich. Ich stecke ihn in meine Tasche.

Aber eigentlich will ich etwas ganz anderes. Ich schneide tiefer, wische das Blut immer wieder weg, schneide Hautlappen ab, durchtrenne Sehnen. Dann finde ich sie. Die Stimmbänder.

Sie sind grau, bei ihr hätte ich gedacht, dass sie weiß sind, so weiß und rein wie ihre Worte. Ich ziehe sie heraus, es knackt und schmatzt ein wenig, dann halte ich sie in der Hand. Für einen Moment betrachte ich sie im glänzenden Licht des Mondlichtes, welches durch das Fenster hereinscheint. Hier ist ihre Stimme versteckt. Hier kommen ihre Worte her.

Schließlich stecke ich sie mir in den Mund. Ich sauge sie ein, wie Mamas Spaghetti, aber sie schmecken besser. So viel besser. Sie sind das Beste, was ich je gegessen habe. Nun wird ihre Stimme für immer mir gehören, für immer ein Teil von mir sein. Ihre Worte gehören für immer mir.


03:24

Ein grelles, weißes Licht weckt mich aus meinem Schlaf. Doch als ich die Augen öffne, ist es verschwunden. Ich sehe kaum etwas, nur das beleuchtete Armaturenbrett von Linas Auto. Ich setze mich auf. Lina streichelt mir über die Wange, „Schlaf weiter Schatz, da hat ein LKW das Fernlicht nicht ausgeschaltet, aber der ist schon weg.“ Mein Magen knurrt. Lina lacht „Schatz, wir sind einer halben Stunde zuhause, dann können wir den Kartoffelsalat, den uns deine Mama mitgegeben hat, essen. Was hältst du davon?“ Ich schaue auf mein Handy. Es ist 03:24 Uhr.

Mamas berühmter Kartoffelsalat. Alle sind immer ganz verrückt danach, weshalb mein Bruder und ich immer auslosen müssen, wer den Rest mitnehmen darf. Diesmal habe ich gewonnen. Ich will mir die Umgebung ansehen, aber kann nichts als Schwärze um uns herum erkennen. Nicht mal Sterne leuchten am Himmel, wir sind ganz alleine auf der Straße. 

Nur die reflektierenden Säulen, welche die Abstände anzeigen, kann ich nicht erkennen. Sind es hundert oder 50 Meter zwischen den Säulen? Ich konnte mir das nie merken. Vielleicht ein Grund mehr, warum ich nie den Führerschein geschafft habe. Meine Augen gewöhnen sich langsam immer mehr an die Dunkelheit. Trotzdem kann ich nur so weit sehen, wie es die Scheinwerfer des Autos zulassen. Die geteerte Straße scheint sich erst vor uns aufzubauen. Links und rechts beherrscht Schwärze.

„Ich liebe ja deine Familie, Amy, aber dass sie so weit außerhalb wohnen ist echt ungünstig.“ Ich seufze „Papa hängt an dem Haus und der Schweinezucht. Er hofft, dass wir das irgendwann mal übernehmen und die Schweine weiter verpflegen.“ „Kann dein Bruder das nicht machen?“ „Ne, der will das nicht.“ „Und willst du das?“ „Ja… vielleicht…“ Ich verschränke die Arme vor der Brust und schaue aus dem Fenster.

Die Säulen ziehen an mir vorbei. Wie viele hunderte Meter hatten wir wohl schon hinter uns gelassen? „Ach Amy… du bist doch nicht…“ „Wann sind wir zuhause?“ unterbreche ich Lina. Sie schaut auf die Straße. „In einer halben Stunde, Schatz. Dann Essen wir den berühmten Kartoffelsalat, den ihr immer auslosen müsst.“ Für einen Moment halte ich inne. Habe ich gerade laut gesprochen? Woher soll sie das sonst wissen?

Doch die Fahrt auf der langweiligen Straße schläfert mich ein. Ich denke an Papa und Mama. Wie sehr sie sich Enkelkinder wünschen. Aber mein Bruder hat sich scheiden lassen und ich… naja… Mama sagt zwar immer, dass jedes Kind ein Geschenk wäre, aber letztendlich sehe ich immer die Enttäuschung in ihrem Gesicht, wenn sie von Enkelkindern redet.

Ein grelles, weißes Licht weckt mich aus meinem Schlaf. Doch als ich die Augen öffne, ist es verschwunden. „Wieder ein LKW?“ frage ich Lina. „Schlaf weiter Schatz, wir sind gleich zuhause.“ Die Scheinwerfer beleuchten die geteerte Straße vor uns. Die Säulen fliegen an uns vorbei. Es sind keine Sterne am Himmel. Nur Schwärze. Wie lang kann eine halbe Stunde sein?

„Die Säulen stehen 50 Meter auseinander.“ Ich schaue zu Lina, aber sie blickt auf die Straße. Plötzlich lächelt sie „Das fragst du mich immer, wenn du die Säulen siehst.“ „Ach echt?“ Ich setze mich auf und schaue auf mein Handy. 03:24 Uhr. „Lina?“ frage ich und richte mich nun gerade auf. Ich schaue auf die Uhr an ihrem Armaturenbrett. 03:24 Uhr. „Was ist los, Schatz?“ Sie lächelt mich an. Ich will sagen was los ist, aber es ist so verrückt, dass ich mir selbst nicht glaube.

„Ich… ich dachte vorhin wäre schon 03:24 Uhr gewesen. Wie lange habe ich geschlafen?“ „Nicht lange. Aber du solltest dich nochmal hinlegen. Du hast viel getrunken, du bist bestimmt einfach verwirrt.“ „Ich habe viel getrunken?“ hake ich nach und sehe zu ihr. Sie nickt, immer noch lächelnd. „Ja, du hast heimlich hinter dem Haus ein paar Schnäpse getrunken, um den Abend besser zu überstehen.“ Ich denke an den Abend. Ich kann mich daran erinnern, mit Papa am Grill gestanden zu haben und über Lina geredet zu haben und daran, dass meine Tante mir von ihrem Exmann erzählt hatte, nicht aber daran, auch nur einen Schluck Alkohol getrunken zu haben. Papa ist trockener Alkoholiker, ich würde niemals Alkohol ins Haus bringen.

„Das kann nicht sein.“ Lina fängt an zu lachen. „Doch Schatz. Aber ist doch nicht schlimm, ich werde es keinem sagen.“ Ich lasse den Abend nochmal Revue passieren, überprüfe, ob ich mich nicht doch daran erinnere. Aber in meiner Erinnerung gibt es keinen Alkohol. „Wann sind wir zuhause?“ frage ich. „In einer halben Stunde.“ Mein Magen verknotet sich. „Das hast du vorhin auch gesagt.“ Ich schaue Lina an. Diese lacht „Nein, habe ich nicht.“ Plötzlich legt sie mir eine Hand auf meinen Oberschenkel. „Schlaf einfach weiter, du bist gerade wahrscheinlich einfach übermüdet und verwirrt. Ich weiß ja, dass dich deine Mutter mit den Enkelkindern stresst.“ „Das habe ich dir doch gar nicht gesagt?“

Ich verspüre den Drang, Linas Hand von meinem Bein zu schieben. „Natürlich, wir haben doch vorhin darüber gesprochen. Du hast mir erzählt, dass deine Mama so enttäuscht ist, keine leiblichen Enkel zu bekommen.“ Hatte ich all das wirklich gesagt und nicht nur gedacht? Ich bin doch nicht verrückt? Ich könnte mich doch wohl daran erinnern, wenn ich ihr das erzählt hätte? Oder war der Alkohol…? Ich schüttele den Kopf. Da gab es keinen Alkohol. Bestimmt nicht.

Ich schaue wieder aus dem Fenster. Wir sind ganz alleine auf der Straße. Kein Auto fährt hier entlang, kein Rastplatz ist zu sehen. Wie kann diese Straße an einem Sonntag so leer sein? Doch während ich so sie vorbeiziehenden Säulen beobachte, fallen meine Augenlider wieder zu.

Ein grelles, weißes Licht weckt mich aus meinem Schlaf. Doch als ich die Augen öffne, ist es verschwunden. „Das kann doch nicht sein, wieder ein LKW mit Fernlicht?“ Lina lacht. „Die sehen uns halt einfach nicht, oder achten da nicht drauf.“ Ich strecke mich und nehme mein Handy zur Hand. 03:24 Uhr. Mein Herz beginnt zu pochen. Warum kann es denn nicht wenigstens 03:25 Uhr sein? Wie ist denn das möglich? Vielleicht hat Lina recht und ich bin wirklich betrunken und verwirrt. Aber warum kann ich mich dann nicht mehr daran erinnern, Alkohol getrunken zu haben? Hätte ich dann nicht den tauben Nachgeschmack noch auf der Zunge? Ich schaue mich um, so als könnte ich hier einen Hinweis darauf finden, was nicht stimmte. Hektisch beginne ich, alles zu öffnen, Handschuhfach, die Sonnenblende, aber das Auto ist Linas Auto, so wie ich es kenne.

„Ich bin sehr glücklich, dass dein Vater mich mag.“ Ich schaue auf. „Er mag dich nicht. Er hat gesagt, ich solle aufpassen.“ „Schatz…“ Lina lacht leise auf. „Das hat er zu mir gesagt. Weil du manchmal die Realität ein bisschen anders wahrnimmst.“ „Was? Nein, er hat ganz klar zu mir gesagt das du manipulativ bist.“ Doch Lina schüttelt den Kopf. „Siehst du, das ist wie mit dem Schnaps. Du bist einfach manchmal sehr verwirrt. Ich mag ihn jedenfalls auch.“ „Mein Vater würde nie so über mich reden!“ rufe ich. „Naja, immerhin ist er sehr enttäuscht, weil du das Haus nicht haben willst. Und deine Tante hat dich immer mit ihrem Exmann verglichen, der war doch auch so toxisch.“ „Wie bitte? Meine Tante hat über dich gesprochen.“

Lina legt ihre Hand an meine Wange. Ihre Berührung macht mich wütend. Ich bin doch nicht bescheuert? Ich weiß doch, was gesagt wurde. „Amy, du bist einfach noch betrunken und übermüdet. Ich meine, du sagst zum dritten Mal, es wäre 03:24 Uhr.“ Dann legt sie beide Hände wieder ans Lenkrad. „Naja, in einer halben Stunde sind wir zuhause.“ Ich starre sie an. Ich habe nicht getrunken und Papa hat mit mir über Lina gesprochen. Doch dann wandert mein Blick wieder zum Armaturenbrett, welches noch immer 03:24 Uhr anzeigte. So ein Schwachsinn. Wie klar ist mein Verstand, wenn ich glaube, dass die Zeit nicht voranschritt? Lina muss recht haben, ich bin verwirrt und betrunken.

„Ich habe Hunger.“ murmele ich. „Lass uns kurz anhalten und den Kartoffelsalat aus dem Kofferraum holen.“ „Schatz, wir sind in einer halben Stunde zuhause, außerdem kann ich hier nirgendwo rechts ranfahren.“ „Wieso, hier ist doch keiner.“ erwidere ich und verschränke die Arme vor der Brust. Mein Bruder findet, das Lina eine furchtbare Fahrerin ist. Völlig rücksichtslos und aufbrausend. Außerdem findet er es bedenklich, dass sie auch fährt, wenn sie ihre Medikamente nicht genommen hat. Und es stimmt, Lina nimmt wenig Rücksicht auf die anderen Autofahrer. Also kann sie mir ja wohl diesen Gefallen tun.

„Ich habe wirklich Hunger.“ „Das macht der Alkohol.“ Ich schaue aus dem Fenster in die Schwärze. Warum gibt es hier keine Laternen? Nur die Säulen ziehen an uns vorbei und die geteerte Straße verschwindet unter Linas Auto.  Mussten wir denn nirgendwo mal abbiegen? „Wann kommt die Abfahrt?“ „Die Nächste ist es.“ Ich sehe wieder zu ihr. „Das ist keine Antwort. Wann habe ich gefragt.“ „Natürlich ist das eine Antwort. Die nächste Abfahrt müssen wir nehmen.“ „Was ist, wenn wir sie verpassen? Es ist total dunkel.“ frage ich sie.

Lina seufzt tief „Ich kenne diese Strecke. Wir waren schon so oft bei deinen Eltern.“ „Du hast dich doch schon mal verfahren.“ Lina fängt wieder an zu lachen. „Nein Schatz, das warst du.“ „Ich habe nicht mal einen Führerschein. Ich bin noch nie gefahren.“ sage ich empört. Wie kann sie so etwas Absurdes behaupten? „Natürlich bist du gefahren. Du bist doch auch hingefahren. Ich habe nur übernommen, weil du so viel getrunken hast.“ Sie streicht mir über die Wange. Jetzt wo sie es sagt, kommt mir diese Strecke aus Fahrerperspekktive sehr bekannt vor. Und ich hatte einen schlechten Orientierungssinn, es war bestimmt schon mal vorgekommen, dass ich mich verfahren hatte. „Jetzt mach dir nicht so viele Gedanken, Schatz. Wir sind in einer halben Stunde zuhause.“

Mein Herz beginnt zu schlagen. Wie oft hatte ich diesen Satz schon gehört? Ich schaue auf mein Handy. 03:24 Uhr. „Es ist immer noch 03.24 Uhr.“ murmele ich. „Wieso immer noch?“ fragt Lina mich. „Na, weil ich schon drei Mal gesagt habe, dass es 03:24 Uhr ist!“ rufe ich. „Schatz, es war 02:24.“ „Du lügst doch, du hast schon mehrfach gesagt, dass es noch eine halbe Stunde dauert.“ „Du bist einfach durcheinander. Du hast viel getrunken. Hast du deine Medikamente genommen?“

Tränen steigen mir in die Augen. Ich habe doch eben noch an ihre Medikamente gedacht. Ich nehme keine Medikamente und ich trinke auch keinen Alkohol. Mit bebender Stimme sage ich „Du nimmst Medikamente.“ „Nein Schatz, sonst würde ich doch nicht Auto fahren. Ich glaube sie sind im Handschuhfach.“ „Warum sollte ich jetzt die Medikamente nehmen?“ frage ich. „Weil du offensichtlich verwirrt bist. Oder du versuchst noch etwas zu schlafen, wir sind in einer halben Stunde zuhause.“ erwidert Lina und schaut mich liebevoll an.

Ich rufe jetzt meinen Bruder an, ich will ihn fragen, ob Lina oder ich die Medikamente nehmen. Ich hebe mein Handy auf, schaue auf das Display. Es zeigt mir 03:24 Uhr an. Wie lange ist es schon 03:24 Uhr? Das ist doch verrückt. Es kann nicht länger als eine Minute 03:24 Uhr sein. Wie kann ich an Lina zweifeln, wenn sie mir sagt, ich hätte eben ein wenig getrunken, wenn ich selbst behaupte, die Zeit würde sich nicht verändern.  

Mit zitternden Fingern öffne ich das Handschuhfach. Da liegt die weiße Dose mit den Blutdrucktabletten. Aber hatte sie nicht gestern noch gejammert, wie schwer die zu schlucken waren? Aber was war gestern? Wie viel Zeit war schon vergangen? Laut der Uhr in meinem Handy nicht eine Minute. Oder hatte ich wirklich um 02:24 auf die Uhr gesehen? Das würde Sinn ergeben. Vielleicht hatte ich in meinem betrunkenen Zustand schläfrig auf die Uhr gesehen und statt einer zwei eine drei gelesen.

Also sind das auch meine Blutdrucktabletten. Hatte Papa nicht gesagt, Linas Bluthochdruck würde ihre Stimmung beeinflussen. Ich stand doch mit ihm am Grill und da… da hat er über mich geredet? Hoffentlich hat er den Alkohol nicht gerochen. „Ich weiß ja, dass dir die immer ein wenig schwer fallen runter zu schlucken. Du kannst ja warten, bis wir zuhause sind, dauert nur noch eine halbe Stunde.“ Ich erstarre mit den Tabletten in der Hand.

„Ich will nach Hause.“ flüstere ich. „Ich weiß, du bist müde und kaputt. Schlaf noch ein bisschen, in einer halben Stunde sind wir zuhause.“ Lina schaut mich an. Aus ihrer Nase tropft Blut. Erschrocken zucke ich zurück. Lina schaut mir in die Augen, ihr Blick durchbohrt mich unangenehm, als sie mit merkwürdig monotoner Stimme sagt „Alles wird gut, Amy. Alles wird gut.“ „Brauchst du ein Taschentuch?“ frage ich, mit Blick auf das dunkelrote Blut, welches aus ihrer Nase läuft. „Wir schaffen das schon, Amy.“ Sie lächelt mich an, doch es ist kein freundliches Lächeln. Es ist, als wären ihre Gesichtsmuskeln schmerzhaft verzogen. Mein Atem ist hektisch. Ich spüre mein Herz in meiner Brust pochen. „Alles wird gut, Amy. Alles wird gut. Wir sind in einer halben Stunde zuhause.“ „Du benimmst dich komisch.“ Ich drücke mich an die Autotür, will nur weg von ihr. Die Straße verschwindet in der Schwärze unter uns, es gibt keine Raststätte, keine Abfahrt, nicht mal ein Schild. „Schlaf jetzt, Amy. Du bist betrunken und verwirrt. In einer halben Stunde sind wir zuhause. Alles wird gut.“

Ich rüttele an der Autotür, nichts passiert. Linas Blick durchbohrt mich noch immer, wie ein Messer, welches genau zwischen meine Augen sticht. Die Straße verändert sich nicht. Immer gerade aus. Alles bleibt schwarz. Keine Raststätte, keine Abfahrt, nicht mal ein Schild. „Ich will nach Hause. Ich will nach Hause.“ Ein paar Tränen laufen über meine Wange, ich habe das Gefühl, sie würden ins Nichts fallen. Aus Linas Nase läuft unaufhörlich Blut, es ist so viel, dass es ihre Lippen benetzt und Fäden bildet, wenn sie spricht. „Alles wird gut Amy. Du hast nur zu viel getrunken.“ Das Blut färbt ihre Zähne rot, es läuft ihr Kinn runter. Sie schaut mich an, die Straße verschwindet immer weiter unter uns und es gibt keine Raststätte, keine Abfahrt, kein Schild, nur sie und ich in diesem Auto in der Schwärze und Linas Blut auf ihren Klamotten und auf dem Sitz.

Auf einmal schlägt sie ihren Kopf immer wieder mit voller Wucht auf das Lenkrad, die Hupe dröhnt, ich fange an zu schreien „Hör auf! Hör auf!“ Aber sie schlägt ihr Gesicht auf das Lenkrad, bis alles voller Blut und ihre Nase schief ist. Dann schaut sie mich an. Minutenlang. Sie lächelt mich an, mit diesem verzogenen Gesicht, alles ist voller Blut. Sie fängt wieder an zu sprechen. „Alles wird gut, Amy. Alles wird gut. Du hast nur zu viel getrunken.“ Ich ertrage ihren Blick nicht mehr und halte mir die Augen zu.

Ein grelles, weißes Licht weckt mich aus meinem Schlaf. Doch als ich die Augen öffne, ist es verschwunden. Ich sehe kaum etwas, nur das beleuchtete Armaturenbrett von Linas Auto. Ich setze mich auf. Lina streichelt mir über die Wange, „Schlaf weiter Schatz, da hat ein LKW das Fernlicht nicht ausgeschaltet, aber der ist schon weg.“ Mein Magen knurrt. Lina lacht „Schatz, wir sind einer halben Stunde zuhause, dann können wir den Kartoffelsalat, den uns deine Mama mitgegeben hat, essen. Was hältst du davon?“ Ich schaue auf mein Handy. Es ist 03:24 Uhr.


die Krönung der Schöpfung

Du wundersamer Badezimmerheld, du Künstler des Seifenwassers, du Göttlichkeit der Hygiene, dein Antlitz in meinen Augen, so blau, hellblau, deckend, wie ein graublau Gemisch, praktisch geziert von einer halben Daumenlänge geflochtener Schlaufe. Ein Makelloses Beispiel fantastischer Erfinderkunst. Vergiss das Rad, vergiss dein Handy, vergiss das Feuer, du bist die Krönung unserer Schöpfung.

Und genau dieser, mit seiner Weizenfeldartigen Zeichnung und der leicht geriffelten und fast drei Handbreit großen Öffnung, ist der Gipfel dieser absoluten Erfindung.

Wo wäre ich, ohne dich, an heißen Sommertagen sorgst du für soziale Anerkennung, in kalten Winternächten ersparst du den demütigen Gang zitternd von Dusche zu Handtuch.

Du großartiger, exzellenter, perfekter Waschlappen, der du bist, in deiner rauen Erscheinung und dem kratzigen Fell, welches seine wahre Stärke erst mit Wasser zur Geltung bringen kann.

Dich im Haus zu haben ist Freude und Glück zugleich, denn du bist nicht nur stark, widerstandsfähig und wunderschön, du hast auch noch die Praktikabilität für dich eingenommen. Und in deiner simplen Großartigkeit besitzt du auch noch das Talent zur einfachen Bescheidenheit, nimmst keine großen Räume ein, bleibst für dich, bei dir, in deinem dir zugewiesenen Platz, gebogen über der Heizung, welche deinen Körper stählt oder offen über dem Wasserhahn, immer nah deiner Quelle der Stärke.

Deine raue Schale ist ein Abbild deiner unbrechbaren Arbeitskraft, mit welcher du tagaus, tagein für fremde Körper deine Oberfläche schindest, nur um dann zurückgelassen mit bewegender Geduld auf deinen Einsatz zu warten.

Du willst nichts dafür, du gibst nur und dein hartes, unbewegliches Maul giert nach Wasser. Dein perfekter Körper, 100% Baumwolle, natürlich, denn zu dir passen nur 100%, egal bei welchem Thema. Du bist robust, robust genug auch noch nach 60 Grad deiner Aufgabe zu fröhnen und dein Herz weiter schlagen zu lassen, selbst Bügeln kann man dich, denn dich kann nichts zerstören.

Du entfernst den Dreck aus jeder Wunde, wischt Blut und Schweiß vom Körper und bist das Glanzstück dieser Gesellschaft. Dein Wort in unserer aller Ohren, dein Wille, als das Ideale, deine Anwesenheit als Berufung. Mein Waschlappen.


Public Viewing

Nichts ist so deutsch wie zu jeder sich bietenden Gelegenheit zu saufen. Und beim ESC zu verlieren. Und wenn man das verbindet, dann treffen sich ein paar Berliner irgendwo in Südost in einer Freiluftkneipe um gemeinsam das deutsche Scheitern begießen. Ich persönlich finde ja, wenn wir schon immer wieder verlieren, dann wenigstens auch so, dass es scheppert. Ich war für Ikke Hüftgold als deutscher Repräsentant.

Denn abgesehen vom Verlieren, können wir Deutschen vor allem eines gut, völlig sinnlose Songs mit Partybeat. Und wenn schon nicht „Wir werden letzter“ auf diese Liste durfte, so hätte „dicke Titten Kartoffelsalat“ wenigsten antreten sollen. Was sollen wir denn mit einer Rockband? Die goldenen Zeiten des deutschen Rocks sind vorbei. Jetzt fangen erst die goldenen Zeiten des deutschen Ballermanns an.

Naja und wie sich das eben für waschechte Deutsche so gehört, wird der glorreiche letzte Platz mit viel Bier und Schnaps begossen. Wenn man schon nix zum Feiern hat, dann wenigstens was zum Saufen. Aber keine Sorge, kein Bier vor vier. (Sektfrühstück zählt ja nicht) Ich trinke kein Bier, das schmeckt mir nicht. Aber, das ist ja kein Problem ich bin ja in Deutschland und kann eine von den 25 Alternativen ausprobieren.

Und wenn dann so alle beieinander sitzen, in der Freiluftbar in Berlin, die vollgeklebt mit linken Stickern und bemalt mit anarchistischen Sprüchen ist, dann wird eben kurzer Hand ein anderes Land angefeuert. (und begossen, ganz wichtig, nicht vergessen zu trinken, warmes Bier schmeckt ja auch nicht, das muss schnell getrunken werden)

Iran war toll, die haben eine tolle Stimme ja… Und tolle Tänzer. Aber der linke Tänzer da, der ist ein bisschen aus dem Takt. Und Schweden kann ja gar nicht singen, die trifft die Töne nicht. Das weiß ich, weil die Tochter von dem besten Freund des Sohnes meines Bruders, die ist DJ und der beste Freund hat das dem Sohn meines Bruders erzählt und der hat mir das mal erklärt. Und die Farben von den Outfits passen ja gar nicht zusammen. Das der Guido Maria Kretschmeier mal bei Shopping Queen erzählt. Rot und Schwarz soll man nicht kombinieren. Denn, ein weiter wichtiger Fakt, Deutsche werden beim Public viewing grundsätzlich immer zum Experten dessen, was sie gerade sehen.

Wenn die WM im Sommer ist und ich mit meinen Onkeln auf der Terasse sitze, dann erkären alle einstimmig dem ausgebildeten Trainer auf dem Bildschirm, wie er hätte die Mannschaft aufstellen sollen, damit sie gewonnen hätten. Und die Spieler können auch nicht spielen. Denn die dickbäuchigen deutschen Zuschauer hätten den Pass locker abgefangen und das Tor dann auch getroffen. Klar oder?

Und natürlich habe auch ich einen Onkel, der Fußballprofi geworden wäre, hätte er nicht den Kreuzbandriss gehabt. Jetzt ist er leider dick und alt. Schade.

Aber auch das ist deutsch. Jeder ältere Deutsche wäre ne‘ ganz große Nummer, wenn ihm oder ihr nicht früher irgendwas passiert wäre. Aber beim Public viewing, da hat man dann die große Chance mit den anderen endlich über das Gesehene zu sprechen und sein ganzes Fachwissen aus den letzten zwei Jahren Public viewing herauszuholen. Naja und natürlich sein neu gewonnenes Fachwissen auch mit ordentlich Alkohol zu begießen. Irgendwo auf der Welt ist es ja schon vier.

Public Viewing, Bier und Experten im Experten sein sein. Das ist der deutsche ESC. Und natürlich verlieren, ganz wichtig. Denn eines muss man den Deutschen ja lassen, sie sind zumindest sehr selbstironisch. Und anstoßen kann man ja grundsätzlich erstmal auf alles. Neue Runde Bier? Anstoßen. Jemand hat viele Punkte bekommen? Anstoßen. Null Punkte? Anstoßen.

Ganz wichtig beim Anstoßen, immer in die Augen gucken, sonst gibt es sieben Jahre schlechten Sex. Das wurde mir schon als Kind beigebracht. Vorsorglich quasi. Damit sich das nicht in meiner Kindheit summiert oder so. Und über Kreuz darf man auch nicht, das bringt Unglück.

Ich höre die Menschen grölen und jubeln. Um mich herum werden mindestens drei verschiedene Sprachen gesprochen. Eine Frau lacht hysterisch und laut. Es wird nach jedem Song applaudiert, aber wenn es schlecht war, dann haben die Deutschen es drauf einen sehr strafenden Applaus zu verteilen. Der klingt dann so „Ich applaudiere für dich weil ich höflich bin, aber ich fühle es nicht.“

Und wenn der ESC dann vorbei ist und das Bier leer, dann schlägt sich der erste Mensch auf die Oberschenkel, sagt „So!“ und alle wissen, es ist Zeit zu gehen. Also in 30 Minuten. Denn zwischen dem „So!“ und dem letztendlichen gehen, liegen noch mindesten 30 Minuten Talk in der Türangel und/oder am Straßenrand. (Sehr alt eingesessene variieren das „So!“ auch mal mit einem „Sodale!“)

Und so ist ein weiteres Public Viewing vergangen, die Alten fahren mit Uber, die Jüngeren, welche noch nicht an den Alkoholkonsum gewöhnt sind, gehen noch schnell kotzen. Ein bekiffter Esoteriker spricht dich auf der Straße an, er spüre, dass du deine Verbindung zum Sein verloren hast. Mittlerweile werden Uber gerufen, man verabschiedet sich mit einer Umarmung, aber jetzt müssen wir wirklich langsam nach Hause, der Hund wartet.

Zurück von der Party wird mit Käse und Hund Gassie gegangen und dann noch ein Ausklingbier gezischt. (ist ja nur ein leichtes, das hat ja nur 5%) Morgen wird in den Garten gefahren, die Hecke muss geschnitten werden, die ist nämlich schon 3cm zu lang geworden und wenn der Nachbar das sieht, dann meldet der uns wieder beim Ordnungsamt.


Ich bin so emanzipiert

Ich bin so frei, ich bin so emanzipiert,
bin umgeben von schlanken Frauen die sich zu dünn finden,
und molligen Frauen die sich zu dick finden.
Kenne keine Frau die sich in ihrem Körper wohlfühlt.
Ich wäre so gerne glücklich mit mir selbst
stattdessen bin ich immer nur am Arbeiten.
Work work work
denn ich bin so frei, ich bin so emanzipiert,
dass ich selber sehen kann, dass ich noch nicht reiche.
Ich muss mehr ins Gym, muss mehr lesen,
brauche mehr Klamotten, mehr Glitzer in meinem Gesicht,
muss mehr Geld verdienen, länger feiern gehen,
ich muss zufriedener mit mir sein,
ich muss glücklicher sein, mit mir.
Jetzt.
los, sei jetzt glücklicher mit dir.
Sei frei und feministisch, zufrieden mit dir selbst.
Ich bin so emanzipiert,
ich habe mich entschieden noch immer nicht zufrieden zu sein.
Niemand kann mir meinen Körper mehr schlecht reden,
das mache ich schon genug.
Keine Sorge, ich übernehme das schon.
Ich höre nicht mehr auf eure Kommentare,
ich sage das einfach zu mir selbst.
Warum?
Warum?
Warum?
Ich wäre so gerne glücklich mit mir selbst.
Ich würde so gerne mehr Geld verdienen,
hätte so gerne mehr Zeit für Arbeit,
hätte gerne mehr Klamotten,
mehr Glitzer im Gesicht,
mehr Zeit zum lesen,
ich wäre so gerne dieses perfekte Gym-Yoga Mädchen,
aber ich muss zu der Zeit leider arbeiten.
Und eigentlich mache ich ja nichts Anderes als sie,
ich bin nur nicht so glücklich.
Ich bin nicht so glücklich wie die anderen Frauen.
Die alle nicht so glücklich wie ich sind.
Wir schauen einander zu, wenn wir zu unterschiedlichen Zeit im Gym sind
und sind dann wütend auf uns selbst,
weil sie war gerade im Gym,
und ich nicht.
Ich will so aussehen wie sie.
Sie will so aussehen wie sie.
Level up
Level up
Level up
Wo ist denn das Ziel?
Gibt es ein Ziel?
Ich muss mich immer verbessern,
immer mehr aus mir machen.
Sei heute besser als gestern.
Aber was wenn ich gestern schon gut war?
Wann ist gut dann eigentlich genug?
Ich muss was Neues lernen.
Ich bin so emanzipiert,
ich kann mir selbst jeden Tag was neues beibringen.
Und ich kann alleine Frust schieben,
wenn ich es doch nicht lernen konnte.
Und dann ins Gym gehen.
Den Frust wegtrainieren.
Und dann die Schokolade essen.
Fuck
Fang bloß nicht so an.
Ich fange an zu sehr über das Essen nachzudenken.
Ich bin so emanzipiert.
Ich kann über alles nachdenken.
Stopp.
Es ist genug.
Meine ich mit es mich?
Bin ich genug?
Ich habe genug.
Ich habe genug Klamotten.
Ich habe genug Glitzer.
Ich habe genug gelesen.
Ich habe genug gearbeitet.
Ich habe genug von diesem Wahn.
Ich muss mich nicht jeden Tag verbessern.
Ich will nur glücklich sein.
Nicht so glücklich wie sie.
Sondern so glücklich wie ich.
Wie ich sein kann
wenn ich
aufhöre
nachzudenken.
Ruhe


Sommer in Berlin

Wenn der Sommer in Berlin beginnt und alle Menschen endlich wieder rausgehen,
die Clubs sich klebrig anfühlen
und die Badestellen sich wieder füllen
Dann beginnt wieder die altbekannte Diskussion, was ist gucken und wann fängt gaffen an? Und warum starrst du mich schon zehn Minuten an?

Wenn der nach Hause weg zum Horror wird und ich alle zwei Minuten über die Schulter sehe,
weil mir jemand folgen könnte,
dann weiß ich wieder, dass diese Wut im Bauch berechtigt ist.
Dass irgendetwas falsch läuft, wenn ich weiß, dass nein sagen mich nicht schützen wird und man mich fragen wird, was ich an besagtem Abend denn anhatte.
Was zur Hölle?
Ich möchte, dass alle Frauen kurz an das letzte Mal denken, bei welchem sie von Männern bedrängt wurden. Wisst ihr was das Problem ist?
Dass die meisten Frauen nicht daran denken, wann es überhaupt passiert ist, sondern welche dieser vielen Situation die letzte war.
Und deshalb gibt es diesen Text.

Du heulst darüber, dass du ständig nur in der Friendzone landest,
aber kannst du dir vorstellen wie es ist,
wenn man bei jedem Freund befürchten muss,
dass er dich eigentlich nur ins Bett bekommen will?
du fühlst nicht diesen Frust,
dass dir Anteilnahme und Freude nur vorgespielt wurden,
weil der Mensch dir gegenüber eigentlich nur deinen Körper haben wollte,
das dieser Mensch dem du so vertraut hast, der dir alles sagen sollte,
immer nur ans ficken gedacht hat, wenn er in deiner Nähe war?

Wenn du dich so aufregst siehst du gar nicht hübsch aus
Sei doch nicht so laut, das gehört sich nicht, Maus.
Ich habe es satt immer nur süß zu sein,
ich habe es satt immer nur Objekt deiner Begierde zu sein.
Wenn meine wütende Hackfresse dir nicht gefällt, heißt das nicht, dass ich sie ändern muss, nein dann habe ich endlich Erfolg und dann bleibe ich dabei.

Warum bringen wir Frauen bei, nicht ohne Pfefferspray raus zu gehen,
statt Männern zu erklären, ihren Schwanz bei sich zu lassen?
statt das Männer aufhören Frauen unerlaubt anzufassen?
Warum müssen Frauen ständig über ihre Schulter sehen,
sich immer umsehen, nachsehen, genauer hinsehen.
Aber klar, du bist beleidigt, wenn wir dir nicht nach drei Sätzen vertrauen.
Ja, du machst so etwas nicht, aber du machst auch nichts.
Schaust nur zu, bist Teil des Problems, aber macht nichts.

Ich soll nicht alle Männer über einen Kamm scheren,
aber alle Frauen die ihren Mund aufmachen sind anstrengend,
aber alle Frauen in knapper Kleidung sind nur auf das eine vorbereitet.
Das Pfeifen war doch nur nett gemeint,
dass er mich auf dem gesamten Weg verfolgt hat spricht doch für mich.
Weil ein nein für dich nicht reicht,
du erst, wenn ich mit dem Türsteher drohe, von mir weichst,
und du mich erst in Ruhe lässt, wenn ich nicht mehr Single bin,
ergibt der Gedanke, wir hätten Gleichberechtigung längst erreicht für mich keinen Sinn.

Im ersten Moment sind Frauen noch deine Süße und wenn sie nein sagen eine Schlampe.
Wenn Frauen Make-Up tragen sind sie fake, ohne plötzlich langweilig, Baggy-Clothes nicht sexy genug und in engen Klamotten billig.
Ein Geschlecht definiert die ideale des anderen und ihr denkt wir machen das einfach willig?
Ich werde geshamed, weil ich Make Up trage.
Weil ich Röcke anziehe und meine Haut nicht bedecke,
Aber was sagst du, wenn ich dir sage, dass ich mich selbst zum Kunstwerk mache?
Dass ich dich mit meinen Outfits nicht einlade?
Und dass ich einen Fick auf deine Meinung gebe?

Ein Mädchen wird nicht zu einer Frau mit ihrer Periode, sie wird zu einer fucking Ware
Ich bekomme Anfragen von ekligen, 50 Jährigen Männern auf mein Instaprofil, ob ich ihr Sugarbabe sein will, ob ich ihr Geld haben will, für die ein oder andere Fotocollage.
Denn in ihren Augen bin ein Gegenstand den sie kaufen können und dem sie ungefragt Angebote machen können,
die so unerhört sind, dass die meisten Männer denen ich das erzähle lieber weghören.
Sie sagen sie würden gut zahlen und ich müsste gar nicht viel tun, Digga ich poste Make Up Looks und Texte
keine Werbeanzeige für fucking gesexte.

Für diese Männer ist eine Frau nur eine Zahl, im besten Fall eine Zehn von Zehn.
Sie spielen uns gegeneinander auf mit Skalas und Magerwahn,
teilen uns ein in fickbar und hässlich.
Menschen sind wir in diesen Augen echt nicht.
Sie werfen uns ungefragt ihre Meinung an den Kopf,
kommentieren unsere Brüste, unser Outfit, unsere Figur,
äh, habe ich dich danach gefragt?
Warum ist meine bloße Existenz für dich Grund genug die Fresse aufzureißen?
Warum bemisst sich mein Wert in der Größe von meinen Kleidern?

Es fängt in der Kindheit schon an, dass sie dir deine Rolle einverleiben,
wenn du als Mädchen nur Geschichten vom Mädchen auf dem Reiterhof lesen darfst, von kleinen Schwestern, die zuhause bei Mama bleiben,
von weiblichen Jugendlichen, die sich in die Jungs verlieben,
wie ist das eigentlich bei den Jungs? Achso, die dürfen Piraten sein und Ritter spielen,
kleine Jungs dürfen die Welt entdecken und haben dabei blaue Hosen an.
Und eine Mutter ist nur eine gute Mutter, wenn sie kochen kann.

Du sagst, dass Frauen weniger verdienen ist kein Problem des Patriacharts,
Frauen müssen halt lernen besser zu verhandeln, ist ja nicht deine Schuld, dass Frauen von Kind an erklärt bekommen, dass sie weniger verdienen dürfen.
Aber wehe Frauen erarbeiten etwas, was nicht gut für dich ist,
etwas wovon du nichts hast.
Drei Tage im Monat darf sich eine Frau krankmelden
ohne zum Arzt zu rennen.
Drei Tage im Monat und du fühlst dich sofort zurückgesetzt,
mein Gott ist das lächerlich.

Ihr Frauen wollt euch immer in die Opferrolle stellen! Steh doch einfach drüber!
Seit wann haben sich Probleme gelöst, weil sie ignoriert wurden?
Und warum müssen Frauen eigentlich über alles wo Männer drauf stehen drüberstehen?
Warum müssen Frauen immer über alles hinwegsehen. Nur weil Männer so gut wegsehen?
Wo genau soll das dann enden?
Ein ganzes Geschlecht hat plötzlich Angst nichts mehr zu dürfen,
während das andere Geschlecht sein ganzes Leben darauf aufbaut, sich vor einer Vergewaltigung zu schützen.

Ihr Männer seit es nicht gewohnt zurückzustecken,        
Frauen waren gewohnt ihre Bedürfnisse zu verstecken.
Die Welt ist im Wandel, du wirst überholt,
Frauen halten in beiden Händen einen rosanen Colt.
Manchmal wünsche ich mir, die Welt würde sich umdrehen. In einer Welt, die unfair ist, glaubt man nicht an Fairness.
Und wenn du ein Geschlecht wählen musst, dass zurücksteckt, dann wählst du eben nicht dein eigenes.
Doch diese Wahl die gab es nie,
weil die Frauen nicht mal wählen durften.
Und immer noch so beschäftigt sind damit sich Freiheit über ihren eigenen Körper zu erkämpfen,
dass sie gar nicht genug Zeit haben ein ganzes System endlich zu bekämpfen.

Frauen waren Jahrelang nur traurig, mittlerweile sind sie wütend, wir sind wütend.
Denn nur Wut kann diese Welt bewegen,
ist in jeder Menschheitsgeschichte zu belegen.
Wut steht der Frau nicht im Gesicht,
umso besser findest du nicht?
Doch jetzt denken wir mal um, jetzt denken wir mal weiter.
Sagst du auch zu deiner Mutter, hey das Leben geht weiter?
Und dass sie selber schuld ist, dass sie dich bekommen hat,
weil sie deswegen immer noch weniger Gehalt als dein Vater hat?
Sagst du deiner Mutter, dass sie hätte damit rechnen sollen,
dass nur aufgrund der Chance, dass du irgendwann kommen könntest,
sie halt hinnehmen muss, dass Arbeitgeber sie nicht wollen?

Die Faust geballt um den Tampon in meiner Hand,
den du nicht sehen willst,
weil er für dich eklig ist,
richtet sich ab jetzt gegen dich.
Und damit schütze ich mich,
vor dir und deinen Blicken, deiner Meinung und deiner Ignoranz.
Misogynie ist kein Fachwort mehr
Ihr wisst es genauso wie ich, dass Glas ist längst leer,
die KO-Tropfen kleben noch am Rand.
so unsichtbar wie unser täglicher Kampf.

Wenn uns schon kein Mann den Raum geben will,
dann müssen wir Frauen uns eben unterstützen und gemeinsam fighten.
Steht auf und lebt euer Leben wie ihr wollt und seid nicht länger still,
Lasst uns füreinander, miteinander vereinen.
Nicht im Hass zergehen,
die Wut an die richtigen richten,
endlich aufhören übereinander zu richten.


Ja heißt ja

Ich gehe unheimlich gerne Feiern. Ich liebe alles daran, die laute Musik, der Kontakt zu den Menschen, das Tanzen, das Nachtleben, Frauenklos und das Aufstylen vorher. Wenn ich Samstag feiern gehe, plane ich meistens Freitag schon was ich anziehe. Und Samstag auf Arbeit überlege ich mir einen Make Up Look. Und dann zelebriere ich das Fertigmachen. Mit Partymusik und YouTube Tutorials.

Und wenn ich dann losgehe und mich mit den Bekannten auf dem Weg treffe, dann steigt die Vorfreude nochmal. Ich bin noch nie von den Türstehern abgelehnt worden. Kann ich mir auch nicht vorstellen, dass das passiert, denn meine Outfits sind schon sehr schick und überlegt. Beim Türsteher also reingekommen, die Menschen an der Garderobe mit einem Lächeln begrüßt, Eintritt bezahlt und rein da.

Handy und Geld habe ich übrigens immer in meinen Overknees, Kleingeld im Ausschnitt. Da ich immer Röcke trage, habe ich keine Hosentaschen. Voll dumm eigentlich, könnte ich mich immer wieder drüber aufregen. Egal, los geht’s zur Bar. Das erste Getränk der Nacht will bestellt werden. Womit steige ich heute ein? Meistens muss ich mein Geld zusammenhalten, heute ist so ein Tag, ich nehme mal lieber eine Goldkrone.

So, Getränk wird geleert, noch ein bisschen Geplänkel mit den Anderen die auch da sind, dann geht es ab auf die Tanzfläche. Die Leute sind gut drauf, ich schaue mich um, schaue mir die Leute an. Bei all the single Ladys wird extra laut gegrölt, jetzt wo es so weit ist. Ein weiterer Drink bringt mich zur viel zu engen Frauentoilette, wo der neuste Klatsch besprochen wird. „Wer auch immer diese Toiletten konzipiert hat, muss Frauen gehasst haben.“ kommentiere ich und quetsche mich am Waschbecken vorbei in eine der Kabinen. Zustimmendes Gelächter.

Im Spiegel wird noch einmal alles gerichtet, Pony, Make Up und dann geht es weiter. Der Bekannte ist immer schlechter Einfluss, Partyraucher. Sorry Mama und Papa. Hoffentlich lest ihr das nicht. Im Raucherbereich werden dann nochmal die Leute abgecheckt. Ein Typ sitzt an der Bar, sieht nett aus, ich frage ihn nach Feuer. Er hat keins, weil er so eine E-Zigarette raucht. Ich bin neugierig, frage nach, er erklärt mir wie das funktioniert. Anschließend bekommt er drei Shots hingestellt, einen schiebt er zu mir. Wir stoßen an, ich bedanke mich, er geht weg.

An der Stelle ein wichtiger Einwurf. Ich habe gesehen wie der Barkeeper die Shots gefüllt und hingestellt hat. Liebe Mädels, niemals, wirklich niemals(!) Getränke von Fremden annehmen, wenn ihr nicht gesehen habt, wie die gemacht wurden. KO Tropfen sind scheiße gefährlich. Und wenn ihr euch komisch fühlt im Club, geht direkt zu euren Freunden oder zur Security. So schnell es geht.

Jedenfalls bleibe ich sitzen. Verarbeite noch die Erkenntnis. Männer erklären dir gerne die Welt. Voll bescheuert. Aber gut. Plötzlich kommt mein Bekannter wieder, meint, er geht ne‘ Packung Kippen kaufen und ich solle ihm schonmal was zu trinken bestellen. Kurz darauf sitze ich also mit zwei Getränken und zwei Shots da.

Ein weiterer Typ nähert sich. „Das trinkst du doch aber nicht alles alleine.“ „Ne.“ lache ich. „Das ist für einen Kumpel.“ In meiner alkoholgetränkten Euphorie setze ich ein „Aber ich könnte!“ hinter her. Der Typ lacht. Ich denke, der ist Humortechnisch auf einer Wellenlänge und sage „Naja, bin Studentin und Arm und kann‘s mir nicht leisten.“ Er erwidert „Da musst du meinen Kumpel hier fragen, der lädt dich bestimmt ein.“ Blöde Antwort, was soll ich jetzt mit dem Kumpel, wenn ich mich doch mit dir unterhalte? Aber ich ahne schon, worauf das hinausläuft. „Ne, ich lasse mich nicht haushalten.“ lehne ich ab. Denke, damit hat es sich und der Typ checkt, dass bei mir nichts zu holen ist. Wie sehr ich mich irren sollte.

Denn er schaut mich weiter an und sagt „Ach naja, bei dem Anblick lässt der bestimmt was springen, besonders wenn du ihn mal anfassen lässt.“ Dann wandert sein Blick zu meinen Brüsten. Im Nachhinein hätte ich so viel gerne getan und gesagt. Sein Gesicht nehmen und auf die Theke knallen zum Beispiel. Ihm in die Eier schlagen. Ihm ins Gesicht spucken. Ihm sagen, dass er ein Arschloch ist. Ihm sagen, dass das nicht okay ist. Aber ich mache nichts, weil ich so perplex bin und der Typ sich schon wegdreht und geht. Arschloch.

Etwas später und den Shot und das Getränk weiter bin ich wieder auf der Tanzfläche. Neben mir ein Typ und der tanzt mich an. Ich bin gut drauf, gehe drauf ein, lasse mir mein Selbstbewusstsein pushen, weil ich die Einzige von den Leuten um mich herum bin, die angetanzt wird, genieße die Freiheit, mit jedem Menschen der Welt tanzen zu können, mit dem ich wollte.

Und dann wird der Kerl touchy. Rutscht mit seinen Händen an meine Hüfte, will zu meinem Po und meinen Brüsten, ich korrigiere ihn. Drei mal. Dann ist es mir genug und ich schiebe ihn wieder weg von mir. Kein Bock jetzt auf sowas. Er missversteht die Geste deutlich und fragt mich, ob er mich küssen darf. Ich meine, immerhin hat er gefragt? Nein man, das ist das Bare Minimum. Ich weiß nicht so genau, wie ich damit umgehen soll. Wegschubsen kann ich, aber nein sagen? Da bin ich noch zu weiblich sozialisiert. Also sage ich „Ich kenne ja nicht mal deinen Namen.“ Er sagt „Namen sind doch nicht wichtig.“ Ich bin genervt. „Ich finde schon.“ Ich meine, spätestens jetzt sollte man doch merken, dass jeglicher Vibe weg ist. Aber der Typ sagt mir ernsthaft seinen Namen und kommt wieder nah. Und endlich sage ich nein. Er zieht ab. Denn wenn er von mir nicht bekommt was er will, bin ich seine Zeit nicht wert.

Der Rest des Abends verläuft friedlich. Ich habe Spaß und sitze am Ende müde im Uber. Ubahn fahre ich nicht. Zu gefährlich. Wieder zuhause schreiben wir einander, dass wir zuhause sind. Der Abend war schön. Nein wirklich. Trotzdem würde ich gerne die Situationen im Nachhinein mal analysieren.

Warum habe ich also den Kopf von dem Typen nicht auf die Theke geschlagen? Warum habe ich die Frage nicht mit einem klaren Nein beantwortet? Ersteres ist einfach. Ich war perplex. Und als Frau wird dir früh beigebracht, Dinge über sich ergehen zu lassen. Wenn die zehnjährige Emma zu ihrer Lehrerin geht und sagt, der Johannes ärgert sie, dann antwortet die Lehrerin, dass der Johannis sie wohl mögen würde. Und Emma lernt, von Jungs schlecht behandelt werden ist Zeichen von Sympathie und das sie das hinnehmen müsse, wenn sie beliebt werden will.

Eine Frau die laut ist und sich wehrt? Unweiblich. Mädchen sind die ruhigen, die stillen, Jungs die lauten. So sind wir sozialisiert. Warum ich auf das Kussangebot nicht sofort nein gesagt habe, obwohl der Typ mir schon viel zu lange viel zu nah war? Das ist etwas komplizierter. Aber auch hier spielt Sozialisierung eine große Rolle. Mädchen wird ein nein sehr früh abgewöhnt. Vielen Kindern übrigens. „Gib mal dem Opa ein Küsschen Emma.“ „Ich will aber nicht.“ „Nun mach schon Emma.“ Kommt dir das bekannt vor? Ja, weil es viel zu oft passiert.

Ich habe nicht sofort nein gesagt, weil ich mich schuldig gefühlt habe. Ich habe ja schließlich vorher mit ihm getanzt, da kann ich ja nicht plötzlich nein sagen. Außerdem hat er ja höflich gefragt, ich habe keinen Grund jetzt zickig zu sein. Das ist das, was dir als Frau beigebracht wird. Halt die Klappe und mach mit. Du wolltest es doch auch. Du darfst den Typen nicht heiß machen und dann ablehnen, das macht man nicht.

Doch. Doch das macht man. Mädels, ihr schuldet niemanden irgendwas. Und wenn ihr den ganzen Abend mit einem Typen tanzt, dann darf er euch trotzdem nicht anfassen, wenn ihr nicht wollt. Auch nicht, wenn er euch Getränke ausgegeben hat und auch nicht, weil er so nett gefragt hat. Wie gesagt, schön dass er gefragt hat, aber eigentlich sollte man das nicht hervorheben müssen. Das ist das bare fucking minimum.

Denn nur ja heißt ja. Ende der Durchsage.