Nichts ist so deutsch wie zu jeder sich bietenden Gelegenheit zu saufen. Und beim ESC zu verlieren. Und wenn man das verbindet, dann treffen sich ein paar Berliner irgendwo in Südost in einer Freiluftkneipe um gemeinsam das deutsche Scheitern begießen. Ich persönlich finde ja, wenn wir schon immer wieder verlieren, dann wenigstens auch so, dass es scheppert. Ich war für Ikke Hüftgold als deutscher Repräsentant.

Denn abgesehen vom Verlieren, können wir Deutschen vor allem eines gut, völlig sinnlose Songs mit Partybeat. Und wenn schon nicht „Wir werden letzter“ auf diese Liste durfte, so hätte „dicke Titten Kartoffelsalat“ wenigsten antreten sollen. Was sollen wir denn mit einer Rockband? Die goldenen Zeiten des deutschen Rocks sind vorbei. Jetzt fangen erst die goldenen Zeiten des deutschen Ballermanns an.

Naja und wie sich das eben für waschechte Deutsche so gehört, wird der glorreiche letzte Platz mit viel Bier und Schnaps begossen. Wenn man schon nix zum Feiern hat, dann wenigstens was zum Saufen. Aber keine Sorge, kein Bier vor vier. (Sektfrühstück zählt ja nicht) Ich trinke kein Bier, das schmeckt mir nicht. Aber, das ist ja kein Problem ich bin ja in Deutschland und kann eine von den 25 Alternativen ausprobieren.

Und wenn dann so alle beieinander sitzen, in der Freiluftbar in Berlin, die vollgeklebt mit linken Stickern und bemalt mit anarchistischen Sprüchen ist, dann wird eben kurzer Hand ein anderes Land angefeuert. (und begossen, ganz wichtig, nicht vergessen zu trinken, warmes Bier schmeckt ja auch nicht, das muss schnell getrunken werden)

Iran war toll, die haben eine tolle Stimme ja… Und tolle Tänzer. Aber der linke Tänzer da, der ist ein bisschen aus dem Takt. Und Schweden kann ja gar nicht singen, die trifft die Töne nicht. Das weiß ich, weil die Tochter von dem besten Freund des Sohnes meines Bruders, die ist DJ und der beste Freund hat das dem Sohn meines Bruders erzählt und der hat mir das mal erklärt. Und die Farben von den Outfits passen ja gar nicht zusammen. Das der Guido Maria Kretschmeier mal bei Shopping Queen erzählt. Rot und Schwarz soll man nicht kombinieren. Denn, ein weiter wichtiger Fakt, Deutsche werden beim Public viewing grundsätzlich immer zum Experten dessen, was sie gerade sehen.

Wenn die WM im Sommer ist und ich mit meinen Onkeln auf der Terasse sitze, dann erkären alle einstimmig dem ausgebildeten Trainer auf dem Bildschirm, wie er hätte die Mannschaft aufstellen sollen, damit sie gewonnen hätten. Und die Spieler können auch nicht spielen. Denn die dickbäuchigen deutschen Zuschauer hätten den Pass locker abgefangen und das Tor dann auch getroffen. Klar oder?

Und natürlich habe auch ich einen Onkel, der Fußballprofi geworden wäre, hätte er nicht den Kreuzbandriss gehabt. Jetzt ist er leider dick und alt. Schade.

Aber auch das ist deutsch. Jeder ältere Deutsche wäre ne‘ ganz große Nummer, wenn ihm oder ihr nicht früher irgendwas passiert wäre. Aber beim Public viewing, da hat man dann die große Chance mit den anderen endlich über das Gesehene zu sprechen und sein ganzes Fachwissen aus den letzten zwei Jahren Public viewing herauszuholen. Naja und natürlich sein neu gewonnenes Fachwissen auch mit ordentlich Alkohol zu begießen. Irgendwo auf der Welt ist es ja schon vier.

Public Viewing, Bier und Experten im Experten sein sein. Das ist der deutsche ESC. Und natürlich verlieren, ganz wichtig. Denn eines muss man den Deutschen ja lassen, sie sind zumindest sehr selbstironisch. Und anstoßen kann man ja grundsätzlich erstmal auf alles. Neue Runde Bier? Anstoßen. Jemand hat viele Punkte bekommen? Anstoßen. Null Punkte? Anstoßen.

Ganz wichtig beim Anstoßen, immer in die Augen gucken, sonst gibt es sieben Jahre schlechten Sex. Das wurde mir schon als Kind beigebracht. Vorsorglich quasi. Damit sich das nicht in meiner Kindheit summiert oder so. Und über Kreuz darf man auch nicht, das bringt Unglück.

Ich höre die Menschen grölen und jubeln. Um mich herum werden mindestens drei verschiedene Sprachen gesprochen. Eine Frau lacht hysterisch und laut. Es wird nach jedem Song applaudiert, aber wenn es schlecht war, dann haben die Deutschen es drauf einen sehr strafenden Applaus zu verteilen. Der klingt dann so „Ich applaudiere für dich weil ich höflich bin, aber ich fühle es nicht.“

Und wenn der ESC dann vorbei ist und das Bier leer, dann schlägt sich der erste Mensch auf die Oberschenkel, sagt „So!“ und alle wissen, es ist Zeit zu gehen. Also in 30 Minuten. Denn zwischen dem „So!“ und dem letztendlichen gehen, liegen noch mindesten 30 Minuten Talk in der Türangel und/oder am Straßenrand. (Sehr alt eingesessene variieren das „So!“ auch mal mit einem „Sodale!“)

Und so ist ein weiteres Public Viewing vergangen, die Alten fahren mit Uber, die Jüngeren, welche noch nicht an den Alkoholkonsum gewöhnt sind, gehen noch schnell kotzen. Ein bekiffter Esoteriker spricht dich auf der Straße an, er spüre, dass du deine Verbindung zum Sein verloren hast. Mittlerweile werden Uber gerufen, man verabschiedet sich mit einer Umarmung, aber jetzt müssen wir wirklich langsam nach Hause, der Hund wartet.

Zurück von der Party wird mit Käse und Hund Gassie gegangen und dann noch ein Ausklingbier gezischt. (ist ja nur ein leichtes, das hat ja nur 5%) Morgen wird in den Garten gefahren, die Hecke muss geschnitten werden, die ist nämlich schon 3cm zu lang geworden und wenn der Nachbar das sieht, dann meldet der uns wieder beim Ordnungsamt.